Das kleine Aida-Wunder

Die Carnival Corporation betreibt aktuell einen Ausverkauf ihrer Flotte, um 12% reduziert der weltweit größte Kreuzfahrtanbieter seine Kapazität über alle Marken hinweg. Ausgenommen davon: Aida Cruises. Ein Zufall?

Foto: Kai Ortel

ROSTOCK. Die Corona-Krise hat mit der Carnival Corporation auch den mächtigsten Player der globalen Kreuzfahrtindustrie hart getroffen. Bereits seit März herrscht in den USA, dem Mutterland der Kreuzfahrt, Stillstand; nur in Europa wagen mit Costa Crociere und Aida Cruises die ersten beiden Carnival-Marken einen zaghaften Neuanfang. Am 10.07. gab Carnival daher bekannt, dass man die geplante Außerdienststellung von Schiffen vorziehen werde und sich noch im laufenden Geschäftsjahr von 13 Einheiten trennen werde, die 9% der Kapazität ausmachen. Am 15.09. erhöhte der Konzern die Zahl sogar auf 18 Schiffe und 12% der Kapazität. Unterdessen kursieren in der Branche Gerüchte, denen zufolge mit Cunard und Seabourn sogar ganze Carnival-Marken zum Verkauf stehen.

17 der 18 ausgemusterten Schiffe sind nunmehr identifiziert. Bei der Kernmarke Carnival Cruise Line hat man vier Schiffe zum Verschrotten verkauft (CARNIVAL FANTASY, CARNIVAL INSPIRATION, CARNIVAL IMAGINATION und CARNIVAL FASCINATION) und auch bei Costa (COSTA ATLANTICA, COSTA MEDITERRANEA, COSTA VICTORIA und COSTA NEOROMANTICA) und Holland America Line (AMSTERDAM, ROTTERDAM, MAASDAM und VEENDAM) müssen jeweils vier Schiffe gehen. Princess Cruises (SUN PRINCESS und SEA PRINCESS) und P&O Australia (PACIFIC DAWN und PACIFIC ARIA) trifft es mit jeweils zwei Einheiten und P&O Cruises (OCEANA) mit einer. Die Luxus-Marken Cunard und Seabourn sind von einer Reduzierung der Kapazität bislang ausgenommen, auffallend ist aber, dass eine Marke aus dem Massenmarkt bisher komplett von dem „Kahlschlag“ verschont wurde: Aida Cruises.

Gemeinsam haben all die o. g. Schiffe, dass sie entweder älter oder kleiner sind als der Rest der Flotte. Carnival spricht hier von „less efficient ships“ im Gegensatz zu „most cash generating assets“. Doch auch bei Aida Cruises gibt es mit der AIDACARA, AIDAVITA und AIDAAURA drei Schiffe, die in dieses Schema passen. Es stellt sich also die Frage: Warum hat Carnival in den letzten sechs Monaten nicht auch diese Schiffe verkauft?

Foto: Kai Ortel

Möglichkeit 1: Die Schiffe stehen nicht zum Verkauf. Sehr unwahrscheinlich, denn aktuell steht so ziemlich jedes Kreuzfahrtschiff zum Verkauf. Solange an einen Neustart in der internationalen Kreuzfahrt im größeren Stil nicht zu denken ist, sind die Reedereien gezwungen, ihre Kosten zu reduzieren, also weniger rentable Einheiten, die sowieso nicht fahren, kurzfristig zu Geld zu machen. Die 17 o. g. Carnival-Schiffe sind hierfür ein eindrucksvoller Beweis, auch wenn das bedeutet, dass sie mitunter ohne viel Aufhebens verschrottet werden, wenn sich kein Abnehmer findet.

Möglichkeit 2: Die Schiffe stehen zum Verkauf, werden aber nicht nachgefragt. Auch unwahrscheinlich. Gerade mittelgroße Kreuzfahrtschiffe waren in den letzten sechs Monaten so stark nachgefragt wie selten zuvor. So haben Reedereien wie Fred. Olsen Cruise Line und Celestyal Cruises clever die Gelegenheit genutzt, ihre Flotten im Hinblick auf die Nach-Corona-Zeit zu verjüngen und zu erweitern, als die Preise vergleichsweise günstig waren. An dieser Situation hat sich auch im Herbst 2020 im Prinzip nichts geändert.

Möglichkeit 3: Die Schiffe stehen zum Verkauf, sind aber zu teuer. Hier könnte ein zu hoher Buchwert die Ursache sein. Ein Verkauf unter diesem Wert wäre dann mit Abschreibungen verbunden, die man der geschundenen Carnival-Bilanz momentan nicht auch noch aufbürden will. In der Tat hatte Aida Cruises erst 2017 die AIDAVITA und 2019 die AIDAACARA mit Millionenaufwand renovieren und umbauen lassen – Investitionen, die sich womöglich erst noch amortisieren müssen. Dann scheint man in Rostock und Miami darauf zu hoffen, dass die Corona-Krise zumindest in Europa bald überstanden ist und Aida Cruises nicht nur mit vier, sondern mit allen 14 Schiffen wieder in See stechen kann.

Foto: Kai Ortel

Möglichkeit 4: Die Schiffe stehen zum Verkauf, sollen aber bis auf weiteres noch bei Aida bleiben, weil sie so profitabel sind. Unwahrscheinlich. Egal ob Aida, TUI Cruises, Costa oder MSC – alle großen europäischen Kreuzfahrtreedereien haben beim Restart nach der ersten Corona-Welle auf ihre größten und nicht auf ihre kleineren Schiffe gesetzt. Denn wenn man wegen Abstandsregeln an Bord und anderen Corona-Auflagen schon mit reduzierter Kapazität fahren muss, hat man am ehesten eine Chance, mit denjenigen Schiffen Geld zu verdienen, die ihren Passagieren an Bord am meisten Gelegenheiten zum „Onboard Spending“ bieten. Dazu gehören die AIDACARA (derzeit aufgelegt in Tallinn), AIDAVITA (aufgelegt in Dubai) und AIDAAURA (aufgelegt in Tallinn) sicherlich nicht.

Möglichkeit 5: Die Schiffe stehen zum Verkauf, sollen aber bis auf weiteres bei Aida bleiben, weil sie so populär sind. Carnival-CEO Arnold Donald höchstpersönlich hatte schließlich (wenn auch vor der Corona-Krise) in einem Interview verlauten lassen: “It’s not about the size of the ship for us, it’s all about the guest experience.” (Für uns zählt nicht die Größe des Schiffes, sondern allein der Erlebnisfaktor für den Gast.) Dahinter steckt aber die Logik, dass ebenjener Erlebnisfaktor umso höher ist, je mehr Erlebnis-Anreize man an Bord schafft. Was auf großen Schiffen natürlich eher zu realisieren ist als auf kleinen. Unter diesem Aspekt hat auch die Vergangenheit gezeigt, dass für Carnival allein Effizienz und Rentabilität zählen. Da nützt es wenig, wenn Schiffe wie eine AIDACARA zwar beliebt bei den Passagieren sind, aber vergleichsweise wenig Rendite abwerfen.

Möglichkeit 6: Die Schiffe sollen nicht bei Aida Cruises bleiben, sondern bei der Carnival Corporation als ganzer. Aber warum? Sind vergleichsweise kleine Schiffe wie die AIDACARA, AIDAVITA und AIDAAURA für den Restart nach Corona vielleicht doch nicht ganz unnütz? Sondern vielmehr ideal geeignet, wenn so manches Land zögert, die riesigen Schiffe mit ihren nach Tausenden zählenden Passagiermassen in seine Häfen zu lassen? Oder kehrt sich womöglich gerade ein Trend um, und anstatt auf die immer größeren Schiffe mit ihrer Vielzahl an Bordangeboten zieht es die Passagiere eher auf kleinere Einheiten, wo alles ein bisschen übersichtlicher, aber auch ruhiger und nachhaltiger ist? Dann könnte Carnival mit dem kleinen Aida-Trio eine neue Marke aufbauen oder die Schiffe bei Bedarf schnell an eine Schwestermarke abgeben, wo sich eine erhöhte Nachfrage nach ebendieser Schiffsgröße abzeichnet. Dann könnte eine AIDACARA 25 Jahre nach ihrer Indienststellung noch einmal dieselbe Rolle einnehmen wie einst 1996 – als Trendsetter, der anfangs noch belächelt wird, am Ende aber eine kleine Revolution in der internationalen Kreuzfahrt in Gang setzt. Das wäre nicht nur ein kleines Wunder, sondern auch ein Segen, so schön wie diese Schiffsklasse auch nach all den Jahren immer noch ist.

Foto: Kai Ortel