Als Hapag-Direktor Albert Ballin vor 125 Jahren die moderne Kreuzfahrt erfand

Urlaub auf einem Schiff – das glich vor 125 Jahren einer Revolution. Was viele jedoch nicht wissen: Die moderne Kreuzfahrt begann bereits 1891 – auf einem Hapag-Schiff.

Dass die Idee solch ein Erfolg werden würde, dass an der Nordseeküste der Beginn der Kreuzfahrt gemacht wurde, wie wir sie bis heute kennen – das ahnte wohl keiner an diesem kalten Januarmorgen vor bald 125 Jahren. Immerhin, am 22. Januar 1891 schien jedenfalls ganz Cuxhaven auf den Beinen zu sein, um die Gruppe „kühner Reisender“ zu bestaunen, die an Bord des Hapag-Flaggschiffs „Augusta Victoria“ ging. Mit einem der größten und modernsten Dampfer der Welt wollten sie zu neuen Ufern aufbrechen: zu einer zweimonatigen Vergnügungsreise ins Mittelmeer.

Foto: Hapag-Lloyd

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Geplant waren Landausflüge in 13 Häfen. Transport, Unterkunft, First-Class-Service und ein zeitgemäßes Animationsprogramm kamen von einem einzigen Anbieter: von der Hapag. Es war nicht nur die erste moderne Kreuzfahrt, die an jenem 22. Januar 1891 startete, es war weltweit die erste große All-inclusive-Pauschalreise überhaupt: der erste organisierte Urlaub aus einer Hand – und damit der Beginn eines Tourismusangebotes, das heute mehr denn je boomt.

Auch Albert Ballin, der junge Hapag-Direktor, stand in Cuxhaven an der Pier. Er dürfte besonders angespannt gewesen sein. Denn diese Tour war seine Idee gewesen, sein ganz persönliches Projekt. Er hatte dafür gekämpft, gegen große Widerstände: Wer wolle denn schon freiwillig für Wochen auf ein Schiff gehen, war die einhellige Meinung damals.

Foto: Hapag-Lloyd

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Dabei war die Welt Ende des 19. Jahrhunderts dank moderner Verkehrsmittel zum ersten Mal zusammengerückt. Fern liegende Welten waren erreichbar geworden, und es gab ein wohlhabendes Publikum, das diese Welten kennenlernen wollte – aber möglichst ohne die Strapazen und Gefahren, die eine Reise auf eigene Faust bis dahin mit sich brachte. Die Möglichkeit, sowohl Fahrt als auch Unterkunft und touristisches Programm zusammen anzubieten, besaß bis dato keines der ersten Reisebüros, keine Eisenbahn und kein Hotel. Nur auf einem Schiff ließ sich das so kombinieren.

Der junge Direktor der Hapag, damals 33 Jahre alt, verdankte seinen Erfolg vor allem einer außergewöhnlichen Intuition, gepaart mit der Fähigkeit, Zeitströmungen eben nicht nur zu erfassen, sondern sie auch praktisch und gewinnbringend umzusetzen. Ballin sah genau dort eine Chance, wo die Hapag ein Problem hatte: Ihr glanzvolles Flaggschiff „Augusta Victoria“ lag im Winter nutzlos auf Reede. Kaum ein Reisender mochte den grimmigen Nordatlantik zur Sturmsaison überqueren. Ballin schlug dem Direktorium nun vor, den Dampfer im Winter ins Mittelmeer zu schicken – und zwar als „Lustschiff“ für Vergnügungsreisende, auf eine Tour in den Orient, das Traumland Europas, Mode- und Sehnsuchtsziel wohlhabender Reisender. Unkonventionelle Ideen waren Ballins Kollegen inzwischen von ihm gewohnt. Doch diesmal schien er ihnen zu weit gegangen. Die Herren stammten noch aus einer Epoche, in der man ohne Not keine Seefahrt antrat, in der eine Atlantikpassage mit einem „Gang ins Gefängnis mit der Aussicht zu ersaufen“ verglichen worden war. Und nun Seefahrt nur zum Vergnügen?

Foto: Hapag-Lloyd

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Ihre Reaktion war eindeutig: „Es fehlte selbst in meiner allernächsten Umgebung“, so musste Ballin ernüchtert feststellen, „nicht an Leuten, die glaubten, es sei in meinem Oberstübchen nicht ganz richtig.“ Niemand, da waren sich die Hapag-Direktoren sicher, würde für so etwas Geld ausgeben, erst recht nicht derart viel: Die klassenlose, nämlich nur mit First-Class-Service angebotene Tour kostete mit 1.600 bis 2.400 Goldmark etwa das doppelte bis dreifache Jahreseinkommen eines Arbeiterhaushalts. Doch Ballin setzte sich durch, und schnell zeigte sich, dass er richtig kalkuliert hatte: Schon das erste Angebot der „Excursion“ stieß auf ein internationales Echo, das alle Erwartungen übertraf. Längst nicht alle Interessenten konnten mitgenommen werden. Ballin, der „seine“ Premiere als Gastgeber begleitete, begrüßte schließlich 174 Deutsche, Briten und Amerikaner in Cuxhaven, darunter auch 67 Damen, vorwiegend abenteuerlustige britische Ladys.

Eine historische Reise also, und Ballin, Naturtalent auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, hatte nicht nur Journalisten führender Zeitungen eingeladen, sondern mit Christian Wilhelm Allers auch gleich noch einen der bedeutendsten deutschen Reportagezeichner engagiert. Mit seiner Hilfe schuf er eine weitere Neuheit: die Bordzeitung.

Der Anfang der Reise jedoch gestaltete sich etwas mühsam: die stürmische Biskaya setzte den Passagieren hart zu. In den ruhigeren Gewässern des Mittelmeeres jedoch geriet die Reise der „Augusta“ dann zu einem einzigen Triumph. Das mit 145 Metern Länge und 17 Metern breite größte Schiff, das bis dahin je die Häfen dort angelaufen hatte, wurde überall offiziell begrüßt und begeistert gefeiert. Die Stimmung der Reisenden hätte nicht besser sein können, was auch am kulinarischen Angebot lag.

Foto: Hapag-Lloyd

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Während unter Deck die Heizer schufteten, während Kapitän Heinrich Barends und seine 245 Personen starke Crew ebenso zum Erfolg der Reise beitrugen wie die unermüdlich aufspielende Musikkapelle, kümmerte sich Albert Ballin selbst um beinahe alles. Im Gegensatz zum organisierten Leben an Bord gerieten die langen Landausflüge oft zu regelrechten Abenteuerreisen. Die Fremde war damals noch wirklich fremd und nur ansatzweise touristisch erschlossen. Die Hapag hatte auf das britische Reisebüro von Thomas Cook & Son gesetzt. Die Erfrischungszelte der Briten waren in der Wüste sehr beliebt, der angebotene Transport dagegen erwies sich als eher problematisch. Auf den Passhöhen des Libanon wäre eine unternehmungslustige Hamburger Herrenrunde fast einem Schneesturm zum Opfer gefallen. Ballin ließ das Schiff in Beirut warten, bis die unfreiwilligen Survival-Touristen an Bord zurückkamen.

Im März kehrte die „Augusta“ in Triumph nach Hamburg zurück: „Am Lande alles proppenvoll“, hielt Reportagezeichner Allers fest, „an vielen Stellen schwenkten sie sogar mit Bett- und Tischtüchern, da die Taschentücher nicht ausreichten.“ Der Erfolg seiner Reise hatte Ballin recht gegeben: Er hatte eine Marktlücke entdeckt. Die Hapag füllte sie fortan konsequent. Sie veranstaltete nun regelmäßig und sehr erfolgreich Kreuzfahrten und erwarb 1905 das bedeutendste Reisebüro des Deutschen Reiches, Carl Stangen’s Reisebureau in Berlin, um es als „Reisebüro der Hamburg-Amerika Linie“ weiterzuführen. Der Norddeutsche Lloyd zog nach, und damit waren die beiden Großreedereien nun auch die größten deutschen Touristik-Anbieter.

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