10 Fragen an Michael Speckenbach vom Projekt Bowspirit Kids – Auf dem Weg zum „Kinder-Traumschiff“

Im November 2018 ging Michael Speckenbach (49) in Lübeck mit dem Projekt „Bowspirit Kids“ an den Start – der Idee eines Passagierschiffes, das als „maritimes Freizeitcamp“ kranken und traumatisierten Kindern nach überstandener Operation oder Behandlung dabei helfen soll, Schmerz und Sorgen zu vergessen. „Kindertränen in Freudentränen verwandeln“ ist das Motto des Projekts. Ein knappes halbes Jahr danach sprach Kai Ortel mit Michael Speckenbach über Fortschritte und Herausforderungen auf dem Weg zum „Kinder-Traumschiff“. 

Foto: Bowspirit Kids / Oliver Gloß, Foto Krause

1. Anfang November 2018 bist Du nach über drei Jahren intensiver Vorbereitung mit dem Projekt „Bowspirit Kids“ an die Öffentlichkeit gegangen und seitdem auf allen traditionellen und modernen Kommunikationskanälen mit der Idee präsent. Wie waren die Reaktionen auf Deine Idee eines maritimen Freizeitcamps für kranke und traumatisierte Kinder?

Die Reaktionen waren überrascht und überraschend. Wir hatten sehr bewusst vor dem Gang in die Öffentlichkeit nur einen sehr kleinen Kreis von “Mitwissern”, da wir vermeiden wollten, dass unsere Vision, bevor sie vollständig ausformuliert ist, bereits zerredet wird. Insoweit traf der Startschuss viele in unserem Umfeld – von den Familien über Freunde und Bekannte bis hin zu Geschäftspartnern – relativ unvorbereitet. Das Feedback war meist ein doppeltes “Wow”: Wow – was für eine tolle Idee. Wow – was für eine große Idee.

Aber natürlich gab es auch negative Einschätzungen. Sofern sich die Möglichkeit zum direkten Austausch bot, stellte sich aber meist heraus, dass diese negativen Stimmen davon herrührten, dass man sich gar nicht im Detail mit unserem Vorhaben auseinander gesetzt hatte, sondern ohne Detailwissen ein schnelles Vor-Urteil fällte, dass dieses Vorhaben gar nicht gelingen könne. 

Solche Reaktionen sind bedauerlich. Gar nicht so sehr, weil sie negativ sind, sondern weil sie aus reiner Unkenntnis erfolgen und letztlich unsere Zielgruppe – die kranken und traumatisierten Kinder – darunter leiden müssen, dass Menschen sich nicht die Mühe machen, eine Idee nachzuvollziehen.

Überraschend – für uns – war die Trägheit der Medien in der Aufnahme und Verbreitung der Thematik. Sowohl in den sogenannten sozialen Medien als auch in den Redaktionsstuben landauf, landab scheint ein wenig das Gespür für erzählenswerte Geschichten verlorengegangen zu sein.

Und überraschend war, welche kleine Lobby ernstlich kranke Kinder auf unserem reichen Kontinent haben. Hier sind unsere schlimmsten Befürchtungen tatsächlich noch übertroffen worden. 

2. Sind diese Kinder in einem Krankenhaus oder in einer stationären Therapieeinrichtung an Land nicht besser aufgehoben als auf einem Schiff? Wie willst Du die Eltern davon überzeugen, ihre Kinder für eine begrenzte Zeit in die Obhut von „Bowspirit Kids“ zu geben?

Wir wollen gar nicht im “Wettbewerb” zu Krankenhäusern oder bestehenden Therapieeinrichtungen stehen. Wir sind kein Hospitalschiff. Wer zu uns an Bord kommen möchte, muss die stationäre Therapie oder zumindest einen abgrenzbaren Therapieabschnitt abgeschlossen haben.

Stationäre Therapieeinrichtungen an Land für das, was wir leisten wollen, gibt es kaum. Das ist genau das Problem und die Versorgungslücke in unseren Sozialsystemen europaweit, die wir mit unserem Vorhaben schließen wollen.

Bei uns an Bord geht es darum, das Geschehene zu verarbeiten und in den eigenen Lebensweg einzuordnen. Das Ganze aber nicht als Psychotherapie auf der Therapeutencouch, sondern spielerisch und das Selbstbewusstsein wieder aufbauend. Wenn du so willst, wollen wir ein Stück weit die durch Krankheit und/oder Trauma verloren gegangene Kindheit zurückgeben.

Die Eltern brauchen wir insoweit gar nicht zu überzeugen. Die wissen nach Wochen und Monaten mit ihrem ernstlich erkrankten Kind nämlich ganz genau, was ihm und seinen Geschwisterkindern verloren gegangen ist. Dort besteht ohne Zweifel der Wunsch nach einem entsprechenden Angebot, aber es fehlt schlicht und einfach die Kraft, dieses auch laut einzufordern.

Das schwimmende Erholungscamp der Bowspirit Kids wird wie jedes Feriencamp für gesunde Kinder landauf, landab von Fachleuten inhaltlich gestaltet und betreut werden. Wir möchten uns eben nur um eine besondere Klientel kümmern, die “Erholung von der Krankheit” nötig hat, um selbstbewusst in eine hoffentlich gesunde Zukunft zu starten.

3. Wohltätigkeitsprojekte, gemeinnützige Aktionen und Aufrufe zum „Crowdfunding“ gibt es in Deutschland zuhauf. Wieso sollte man ausgerechnet „Bowspirit Kids“ unterstützen?

Netter Versuch (lächelt), aber über diese Brücke gehe ich nicht. Jedes soziale und/oder ehrenamtliche Engagement ist wichtig für unsere Gesellschaften. Die Projekte sind so bunt wie unseren Gesellschaften in Europa. Und alle tragen dazu bei, die Lebenssituationen von Menschen zu verbessern. Das ist großartig.

Die Frage, warum man ausgerechnet Bowspirit Kids unterstützen sollte, kann ich nicht beantworten, denn da bin ich natürlich nicht objektiv.

Aber ich kann versuchen, in ein paar Worten zu erklären, warum es Bowspirit Kids überhaupt gibt: Wenn ein Mensch – egal ob groß oder klein – ernstlich an Körper oder Seele erkrankt, dann beginnt bei uns eine “Maschinerie” in Form der Akutversorgung zu laufen. Wir Erwachsenen können aufgrund unserer Lebenserfahrung mal besser mal schlechter verstehen, was da mit uns geschieht. Kinder können das nicht. Für Kinder wird schlicht das Leben aus den Angeln gehoben, auch wenn man ihnen das nicht gleich anmerkt.

Im Anschluss an die Akutversorgung gibt es für die Erwachsenen zumindest in Deutschland meist Anschlussheilbehandlungen oder Rehabilitationen. Im europäischen Ausland sieht es da schon bescheidener aus. Im Rahmen solcher Kuraufenthalte wird meist auch eine psychotherapeutische Begleitung angeboten.

Und nun kommen wir zu dem Kernproblem: Anschlussheilbehandlungen oder Rehabilitationsmaßnahmen gibt es für Kinder und Jugendliche in Deutschland nur unter sehr begrenzten Voraussetzungen, weil dies üblicherweise Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation der Rentenversicherungsträger sind, die Kinder ja aber gar keinen Beruf ausüben. Zum anderen knüpfen sie wenn, dann an ein im Reha-Zeitraum behandelbares Krankheitsbild. 

Wenn es aber darum geht, etwas Geschehenes in den eigenen Lebensweg zu integrieren und zu lernen damit umzugehen, dann versagen unsere Sozialsysteme an dieser Stelle. Und wenn wir ins europäische Ausland schauen, dann gibt es dort entsprechende Maßnahmen nicht für Erwachsene und schon gar nicht für die erkrankten Kinder oder deren Geschwisterkinder.

Das ist die Versorgungslücke, die wir als Gesellschaft schließen müssen … und für die Bowspirit Kids eine Lösungsmöglichkeit anbietet.

Wenn wir das alle gemeinsam nämlich nicht tun, dann passiert Folgendes: Kommt das Kind nach der Akutversorgung und als “geheilt” entlassen zurück in die Familie, die sich wohlgemerkt monatelang im Ausnahmezustand befand, dann wird dort versucht, schnell zum Alltag zurückzukehren. Ich sage das nicht als Vorwurf, sondern als Beschreibung. Und ich habe aus eigenem Erleben wahnsinniges Verständnis dafür. Da fehlt schlicht und ergreifend bei allen Beteiligten die Kraft!

Das Erlebte bleibt beim kranken Kind oder seinen Geschwisterkindern aber weiter “unsortiert” in der Vita. Und es bricht – so sicher wie das Amen in der Kirche – irgendwann hervor; und meist genau dann, wenn man es überhaupt nicht brauchen kann. Zum Beispiel erst nach Jahrzehnten als Erwachsener mit eigener Familie und im Beruf stehend. Und dann wird es für die Gesellschaft richtig teuer. 

Studien haben ergeben, dass die direkte Begleitung von seelischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen einen Wirkungsgrad von 1:2,5 bis 1:3,0 hat. Das heißt, je früher wir bei der Einordnung helfen, desto stärker geht das Menschenkind in die Zukunft und kann später zum Teil sogar selbst Helfer sein.

Wir erlauben uns aber bislang den “Luxus” hier wegzusehen. Die betroffenen Familien haben keine Kraft, laut um Hilfe zu bitten. Und die Kinder haben als Nichtwähler keine Lobby in der Sozialpolitik. Neue Leistungen werden dort bekanntlich nur eingeführt, wenn man direkt Wählerstimmen bei der nächsten Wahl generieren kann.

Anstatt heute einen Euro auszugeben, geben wir in der Zukunft lieber zweieinhalb bis drei Euro aus. 

Das ist aus meiner Sicht töricht. Ich selbst habe eine Hands-on-Mentalität, wenn es um erkannte “Organisationsfehler” geht. Ich kann nicht warten, bis sich eine politische Willensbildung durch Parteitage und Kommissionen durchgearbeitet hat, denn ich sehe die leidenden Kinder. Also habe ich mir Mitstreiter gesucht, die genauso denken. Und wir bieten den Gesellschaften in ganz Europa nun eine Lösung an, die schnell und zielführend umgesetzt werden kann. Die Bevölkerung muss es nur wollen und das Vorhaben jeweils mit einem Mikrobeitrag finanziell unterstützen.

Grafik: Bowspirit Kids

4. Die eigentliche Crowdfundraising-Phase startete Mitte November mit der Idee der „größten schwimmenden Pinnwand der Welt“, bei der die Bordwand eines echten Schiffes mit den gegen Spendengelder eingereichten Einträgen (Fotos, Sprüche, Grüße u. a.) „befüllt“ wird. Wie weit ist dieser Teil des Projekts gediehen?

Obacht, bitte. Die Teilnahme an dieser Kampagne ist keine Spende im Sinne des deutschen Steuerrechts, weil du eine Gegenleistung erhältst. Dafür bekommst du also auch keine Spendenbescheinigung. Die Unterstützung über unseren Weltrekordversuch “Die größte schwimmende Pinnwand der Welt” ist vergleichbar mit dem Kauf von Merchandisingartikeln, wie man es von anderen sozialen Organisationen auch kennt.

Die Pinnwand hat aktuell noch viel Platz für Einträge von Unterstützern. Das hängt u.a. damit zusammen, dass den deutschen Unterstützern, die wir bislang erreicht haben, scheinbar eine Spendenbescheinigung wichtiger war als der Spaß an solch einer Aktion. Sie wählten also den Weg der klassischen Spende. Für Unterstützer aus dem Ausland aber auch Unternehmer sieht dies anders aus. So bieten wir für jeden einen optimalen Weg, uns zu unterstützen.

5. Am Ende des Weges soll ein eigenes Schiff stehen, Du sprichst selbst von einem „älteren Fährschiff“, das in Deinen Pressemitteilungen bisher den Namen „Mary Poppins“ trägt. Wie muss man sich den Alltag auf der „Mary Poppins“ vorstellen?

Nach der Hundswache wird geglast, dann wird zunächst die Koje und dann das Schiff klar gemacht … ist das erledigt, gibt’s für alle Schiffszwieback und ’nen Blechbecher mit Brackwasser. (Schmunzelt)

Okay, Spaß beiseite – bevor noch jemand denkt, wir wollten die Zeit der Sklavenschiffe wiederbeleben …

Stell dir bitte einfach ein Passagierschiff vor. An Bord der MARY POPPINS wird aber alles so ausgestattet sein, dass sich Kinder und Jugendliche darauf wohlfühlen – mit Farben, Möbeln, Spiel- und Freizeitangeboten für ihre Generation. Ein “schwimmendes Kinderzimmer” sozusagen.

Den Alltag, nach dem du fragtest, haben wir im Hafen vergessen. Wir haben Ferien – und zwar gemeinsam. Wir wollen alle gemeinsam Spaß haben, spielen, Kind sein, etwas erleben … wieder leben. Dazu wird es Gruppenaktivitäten geben, Landausflüge, aber auch freie Zeiten an Bord. 

Vielleicht hilfst du heute dem Smutje beim Zubereiten des Mittagessens. Und er zeigt dir dabei gleich noch, wie du dir – deiner Krankheit angepasst – etwas besonders Leckeres zubereiten kannst.

Oder du hilfst der Kapitänin dabei den Kurs zum nächsten Hafen zu finden …

Nach der langen Zeit im Krankenhaus hast du mal wieder so richtig Lust auf Sport? Prima, im ehemaligen Autodeck fangen einige andere gerade an Basketball zu spielen und warten schon auf dich …

Du fängst den Ball nie? Na, wie wäre es dann mit dem Kletterparcours gleich neben dem Spielfeld. Sichern und von den anderen gesichert werden, während du von Steuerbord nach Backbord durch’s Deck kletterst …

Morgen kommen wir in die Hauptstadt … dann gehen wir alle ins Musical … und der Karaoke-Chor übt schon mal kräftig, damit den Busfahrern auch ordentlich die Ohren wegfliegen …

Wir sind auf dem Meer unterwegs. Aber hast du eine Idee, wie es darin aussieht? Oder wie wichtig saubere Meere für uns Menschen sind? Wir zeigen es dir …

Du arbeitest gerne mit Holz? Cool – der Oberbootsmann hat neben seiner eigenen Werkstatt auch eine für die Kids und zeigt dir ein paar Kniffe …

Auch wenn es total schön hier an Bord ist, freust du dich, deine Familie wiederzusehen und möchtest dich zur Ankunft hübsch machen? Dann frag’ doch mal die Segelmacherin, die eh nichts zu tun hat, weil wir keine Segel haben, ob sie nicht mit dir eine chice Jacke schneidert oder eine coole Kappe …

Haben wir was vergessen, wozu du jetzt gerade Lust hast? Dann sprich mit uns – wir machen (fast) alles möglich …

Jetzt wird vielleicht der Eine oder die Andere denken “aber was ist denn mit der Psychotherapie?”. – Machen wir doch – mit all dem Vorgenannten. Dazu muss man wissen, dass Kinder anders mit seelischer Not umgehen als wir Erwachsenen. Wir beschäftigen uns damit eher “am Stück”. Kinder hingegen stückweise – mitten aus dem Spiel heraus. Da kann dann schon mal mitten aus dem fröhlichen Spiel heraus die Frage kommen, was denn mit dem Körper des verstorbenen Papa passiert ist. Und nach der Antwort ist das klar und es geht weiter im Spiel. Daher werden bei uns alle an Bord – vom Deckshand bis zur Kapitänin und natürlich erst recht die sozialpädagogischen und medizinischen Kinderbetreuer – auf ihre besonderen Gäste vorbereitet werden, damit sie reagieren können, wenn da in einer Frage oder einer Bemerkung mehr als nur das offensichtlich Gesagte steckt, und wir dem Kind assistieren können.

6. Was kann ein Schiff bieten, das ein Krankenhaus oder eine Therapieeinrichtung an Land nicht bieten kann?

Ein Schiff kann Grenzen überwinden – Grenzen zwischen Ländern, Grenzen im Kopf, aber eben auch die Grenze zwischen dem Land und dem Meer.

Wir möchten unseren kleinen potentiellen Gästen zum Start in eine hoffentlich gesunde Zukunft eine ganz besondere Reise ermöglichen – sozusagen eine neue Etappe auf ihrer Lebensreise. 

Ginge diese Reise hingegen “nur” an eine Küste, wäre da eine Grenze – das Meer. Barrieren und Grenzerfahrungen haben unsere jungen Gäste hingegen mehr als genug erlebt. So wie wir es auch mit unserem Namen symbolisieren, wollen wir aber vermitteln, dass trotz des Erlebten noch (fast) alles möglich ist, wenn die Kinder und Jugendlichen mit unserer Hilfe sich wieder selbst zu vertrauen lernen und das Foul, das ihnen das Schicksal gespielt hat, in ihren weiteren Lebensweg integrieren lernen. 

Wir wollen im Hafen A abfahren und das Erlebte ein Stück weit hinter uns lassen – wir können es leider nicht ungeschehen machen. Und wir kommen im Hafen B wieder an. Und auch wenn es danach wieder nach Hause geht, werden unsere Gäste die Rückkehr in den Alltag aus einer anderen Perspektive betrachten und “aufrecht” in ihr weiteres Leben zurückkehren können.

Das ist also der therapeutische Vorteil eines schwimmenden Erholungscamps. Darüber hinaus gibt es aber auch einen praktisch-organisatorischen. Das Schiff ist keine Immobilie, das heißt ich kann seinen Einsatzort nach Bedarf anpassen und zum Beispiel Anreisezeiten für die Kinder verkürzen und ihnen entgegenfahren.

Foto: Bowspirit Kids / Oliver Gloß, Foto Krause

7. Selbst wenn viele Leute kleine Beträge spenden oder Sponsoren mit „Hardware“ unter die Arme greifen – könnte sich so ein Passagierschiff nicht zu einem „schwarzen Loch“ entwickeln, das immer noch mehr und noch mehr Geld frisst? Was gibt Dir Hoffnung, dass sich „Bowspirit Kids“ eines Tages von selbst trägt, und wie willst Du dieses Ziel erreichen? 

Ein Passagierschiff ist niemals ein “schwarzes Loch”, sondern allenfalls die Summe aus ganz vielen Kostenpositionen. Und diese Kostenpositionen haben wir uns natürlich genau angeschaut. In meinem bisherigen Berufsweg habe ich sowohl die Kostenkalkulationen von Reedereien inklusive individuellem Schiffsbetrieb kennen und bewerten gelernt als auch die Kostenstrukturen von Akut- und Rehabilitationskrankenhäusern.

Es gab vor einigen Jahren interessanter Weise mal eine Untersuchung, die zu dem Ergebnis kam, es wäre für die Rentenversicherungsträger billiger die Versicherten auf Kreuzfahrt zu schicken statt auf eine Kur. Das wird bei uns nicht ganz so sein, weil wir kein Schiff mit tausenden Gästen betreiben, sondern individuelle Betreuung gewährleisten wollen.

Im Ergebnis wird der Pro-Kopf-Aufwand pro Tag bei uns aber nicht höher liegen als in der Bundesrepublik für Reha-Maßnahmen an Land. 

Die Annahme unsere Vision sei zu groß, respektive zu teuer ist also schlicht falsch. Die Anschaffung des Schiffes aber auch der Betrieb sind vollkommen vergleichbar mit einer entsprechenden stationären Einrichtung.

Nur dass wir eben aus therapeutischen Gründen nicht stationär sein wollen, sondern mobil und so zugleich ein weit größeres Einzugsgebiet versorgen können.

Eine eigene Tragfähigkeit kann wie bei jedem Sozialunternehmen nur erreicht werden, wenn die entsprechenden Leistungen, die wir erbringen, irgendwann tatsächlich durch die Sozialversicherungen bezahlt werden, denn für die Kinder und ihre Familien muss der Aufenthalt an Bord aus unserer Sicht kostenlos sein.

Das bedeutet, mit dem Start der tatsächlichen Tätigkeit beginnt aufbauend auf unserem sich dann bildenden Track Record die politische Willensbildung, die aktuell zu viel Zeit in Anspruch nähme und deren Ausgang komplett offen ist. Bis diese dann allerdings wirklich in ganz Europa umgesetzt ist, wird Bowspirit Kids das bleiben, was es von Anbeginn ist: Bürgerschaftliches Engagement für kleine Menschen, die das Leben gefoult hat.

Hierbei werden wir als Organisation aber immer versuchen, Eigenbeiträge zu erwirtschaften. Sind wir zum Beispiel gerade nicht mit Kindern unterwegs, können wir das Schiff und seinen “Hotelbetrieb” für Schulungen nutzen. So können wir Erziehern und Lehrern aber auch interessierten Eltern vermitteln, welchen Weg wir mit den Kindern an Bord eingeschlagen haben, damit sie diesen nach dem Von-Bord-Gehen gemeinsam fortsetzen können. Derartige Fortbildungen können zur Finanzierung der laufenden Einsätze mit den Kindern beitragen. 

Und das ist nur ein Beispiel. Wir haben diverse Themenfelder, die wir eh für Bowspirit Kids “bearbeiten” müssen und in denen wir unsere Expertise Dritten gegen entsprechendes Honorar anbieten können.

8. Gab es in den letzten sechs Monaten auch schon Momente, in denen Du Dich in Dein altes Anwaltsbüro oder in die Pressestelle der Reederei, für die Du früher gearbeitet hast, zurückgewünscht hast?

Nein – keine Minute. 

Natürlich gibt es Momente, in denen ich mich frage “Was hast du da bloß getan?”. Ich bin kein Heiliger, sondern ein Mensch. Und wenn etwas so richtig schief geht – und das tut es bei so einem Projekt natürlich immer mal wieder und natürlich auch immer vollkommen unerwartet – dann gibt es auch bei mir düstere Gedanken. 

Und mir begegnen – selbst bei diesem per se grundguten Vorhaben – auch immer wieder Menschen, die mich in meinem Menschenbild zutiefst erschüttern aufgrund ihrer Ängste, ihrer Unzuverlässigkeit oder gar Ignoranz.

Aber dann sehe ich Anna, Peter, Shirin, Thomas und Johanna vor mir, die mich mit großen Augen ansehen und fragen “Gibst du jetzt etwa auf?” Wenn ich die Fünf vor mir sehe, dann rückt das die Dimensionen zurecht. Die Ängste der Fünf und all der Kinder, für die sie stehen, zeigen die Richtigkeit und Notwendigkeit des eingeschlagenen Kurses.

9. Hast Du einen Geschäftsplan, einen Zeithorizont, in dem Du „Bowspirit Kids“ Realität werden lassen willst? Und einen Plan B, falls Spendenaufkommen und Nachfrage hinter den Erwartungen zurückbleiben?

Am besten gestern! Der Bedarf ist so groß und so dringend. Wir müssen uns vielleicht an dieser Stelle einmal vor Augen führen, dass wir unter Berücksichtigung unserer voraussichtlichen Jahreskapazität eigentlich vier Schiffe bräuchten, wenn wir “nur” alle in jedem Jahr in Europa neu an Krebs erkrankenden Kinder und Jugendlichen versorgen wollten. 

Und Krebs ist beileibe nicht die einzige schwere Erkrankung oder der einzige Trauma-Auslöser, den es bei Kindern gibt.

Aber der Zeithorizont für die Umsetzung liegt nicht mehr in meiner Hand. Ich bin nur der Möglichmacher, der den Kiel für dieses Vorhaben legen konnte und durfte. Ob die Vision hinter dem Namen Bowspirit Kids Realität werden kann, liegt nun bei der Bevölkerung, die ich bitte aus ihrer Komfortzone herauszutreten und mit kleinen Beiträgen etwas Großes für die Kleinen möglich zu machen. 

Wenn nur jeder zwanzigste Bundesbürger drei Euro gibt – so viel wie ein Coffee-to-go – dann ist das Schiff finanziert und wir können helfen. Und für die Finanzierung des laufenden Betriebs in den Folgejahren gilt dasselbe. Das heißt jeder ist alle zwanzig Jahre mit drei Euro mit von der Partie – das sollte möglich sein, oder?!

Wenn aber nur klug geschwätzt oder gar der Bedarf ignoriert würde, dann würde sich das Chancenfenster schließen, denn die deutlich sechsstellige Anschubfinanzierung die meine Mitstreiter und ich geleistet haben, ist naturgemäß endlich. Wenn wir nicht erkennen, dass eine positive Dynamik im Volumen der finanziellen Unterstützung aber auch im privaten und öffentlichen Gespräch mit und über uns zu verzeichnen ist, werden wir das Vorhaben nicht positiv umsetzen können und entsprechend reagieren.

Das aber wäre im doppelten Sinne fatal: Zum einen für die schon heute betroffenen Kinder und Jugendlichen, zum anderen aber auch in Bezug auf die beschriebene Versorgungslücke, die nach einem solchen Signal aus der Bevölkerung dann auf Jahrzehnte hin bestehen bleiben würde.

Der Musiker David Garrett hat einmal sehr treffend formuliert “Plan B ist der größte Feind von Plan A”. Das sehen wir genau so. Wir haben keinen Plan B. 

Dessen ungeachtet haben wir auf unserer Website Fallback-Optionen beschrieben. Und natürlich ist, wie es die Abgabenordnung für jede gemeinnützige Organisation vorschreibt, in der Satzung geregelt, was mit eingeworbenen Geldern passiert, wenn keine der geschilderten Optionen umgesetzt werden könnte und die Gesellschaften aufgelöst würden.

Aber das wird ja nicht passieren, weil deine Leser morgen zugunsten der Bowspirit Kids ein Mal auf ihren Coffee-to-go verzichten und jeweils mindestens drei Menschen in ihrem privaten und beruflichen Umfeld motivieren werden, übermorgen dasselbe zu tun …

Grafik: Bowspirit Kids

10. Vervollständige bitte folgende Sätze:

Lübeck ist … eine Stadt mit großer Vergangenheit als “Königin der Hanse” und mit großer Zukunft als Basishafen der Bowspirit Kids.

In fünf Jahren … feiern wir mit über 10.000 Kindern und Jugendlichen, die dann bei uns an Bord gewesen sein werden, sowie deren Eltern und Geschwistern gemeinsam zum dritten Mal unser Jahrestreffen an Midsommar.

Wer Visionen hat … braucht Mut, um diese Schritt für Schritt umzusetzen, und sollte dabei der Versuchung widerstehen, es allen recht machen zu wollen.

Weiter Informationen finden Sie auf der Webseite bowspirit-kids-group.org