Der Seemann – ein Roman von Uwe Lammers

Uwe Lammers, selbst einmal zur See gefahren, ist mit seinem Erstlingswerk ein großer Wurf gelungen. Manch einer dürfte erstaunt sein. Der Mann ist offenbar nicht nur als Geschäftsführer und Manager im Getränkegroßhandel erfolgreich. Sein Roman, der in der Zeit von 1945 bis Ende der 1980er Jahre spielt, ist fesselnd und spannend geschrieben. Ein Abenteuer folgt dem nächsten, wobei „Abenteuer“ die menschlichen Konflikte mit einschließt. Der Autor hat ein dramatisches Erzähltalent. Es ist alles vorhanden:

Unwetter auf See, Strandung, Seeräuberüberfall, Besäufnisse mit Konsequenzen, Prügeleien, politische Korruption, Eifersucht, Liebe und Sex, Intrige, Bombenächte, Nazitypen, der Tod, schließlich der Aufbau der Reederei in der Nachkriegszeit, das Rekrutengelöbnis im Bremer Weser- Stadion und vieles mehr.

Alle Hintergrundgeschehnisse und Orte sind historisch leicht festzumachen, vor allem Bremen und in Bremen, aber auch die anderen Städte und Hafenstädte, so dass sich fast der Eindruck aufdrängt, es handele sich um eine authentische Geschichte. Die Figuren – „gemischte Charaktere“ – sind lebensprall und glaubwürdig gezeichnet, auch durch die treffenden Sprachebenen. Die Geschichte ist bei aller farbigen Erzählung des vordergründig Faktischen nie oberflächlich, sondern psychologisch differenziert. Auch das lässt bei dem Leser keine Langeweile aufkommen. Ob in Cuxhaven, Bremen oder Passau – wer das Buch erwirbt, darf sich nicht nur auf ein Lesevergnügen freuen, er unterstützt damit auch die „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“, die von jedem verkauftem Exemplar eine Spende erhält.

 

Foto: Donat Verlag

10 Fragen an Uwe Lammers:

Was bewegte Sie dazu dieses Buch zu schreiben?

Ich wollte mit Freunden ein Buch mit mehreren Kurzgeschichten schreiben. Wie es dann so ist. Alle finden es gut, keiner fängt an zu schreiben. Ich habe mich dann irgendwann hingesetzt, einen Plot gefertigt und losgelegt. Manchmal geht das einfach so.

Woher stammen die Inspirationen zu den Geschichten aus Ihrem Buch?

Ich blätterte in einem Fotoalbum, erinnerte mich und fing an, mir Fragen zu stellen, wie es hätte anders laufen können. Später traf ich auf einem Familienfest einen Nachbarn meiner Eltern, der mir aus der schweren Zeit nach dem Krieg erzählte. Dann sah ich einen Fernsehbericht über Piraten am Horn von Afrika. Mir fiel auf, dass sich die Piraten nur noch mehr professionalisiert hatten. Zu meiner Zeit überfielen sie uns auf Reede, entführten aber nicht gleich das ganze Schiff. Problematisch empfand ich früher schon, dass niemand in Deutschland glaubte, dass die Überfälle real sind. Häufig schüttelten Leute mit dem Kopf und taten die Erzählungen als Seemannsgarn ab. So kamen mehrere Geschichten zusammen, die ich dann zu einem Buch verarbeitet habe.

Was erhoffen Sie sich mit diesem Buch?

Möglichst regelmäßig Spendenschecks bei den Rettern abgeben zu können. Das würde bedeuten, dass die Leser mein Buch mögen und es darüber hinaus einen guten Zweck erfüllt.

Wie viel Zeit war für das fertige Buch letztendlich nötig?

Etwa 1,5 Jahre

Sie sind gelernter Nautiker, was macht aus Ihrer Sicht einen guten Nautiker aus?

Ein Nautiker ist immer auf sich alleine gestellt, muss häufig in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen treffen, die – sollten sie falsch sein – dramatische Auswirkungen für Mensch und Umwelt haben könnten. Ob am Tage oder In der Nacht, die Besatzung verlässt sich immer auf sein Können und Urteilsvermögen. Übrigens: Wir alle verlassen uns tagtäglich auf Nautiker, und zwar nicht nur die auf See sondern auch die an Land wie zum Beispiel die Lotsen. Neben den Grundvoraussetzungen wie physische aber vor allem auch psychische Belastbarkeit sind Umsicht, Übersicht und Führungsqualitäten wohl die wichtigsten Kriterien.

Gab es bereits Resonanzen von ehemaligen Kollegen?

Nein, das Buch gibt es erst seit einer Woche im Handel.  Ich bin aber seit 25 Jahren raus aus der Branche und halte kaum Kontakte zu ehemaligen Kollegen. Die Geschichten sind erfunden, es würde  also niemand einen Rückschluss ziehen können.

An welches Ereignis erinnern Sie sich besonders gern zurück, bezogen auf Ihre Hochseezeit auf Frachtschiffen?

An meine erste Reise als zweiter Offizier. Mein Bruder wollte sich mit seiner Tochter noch von mir verabschieden und eine gute Reise wünschen, leider hatten wir gerade die Leinen losgeschmissen und fuhren schon weserabwärts. Er ist dann nach Vegesack gefahren und stand mit der Kleinen auf der Promenade und winkte mit einem Bettlaken. Das fand ich sehr rührend.

Wie stillen Sie heute Ihre Se(e)hnsucht?

Ich fahre mit einem alten Trawler auf der Weser und der Nordsee. Ein schöner Ausgleich.

Was würden Sie den künftigen Seenotrettern gern mit auf dem Weg geben?

Die Möglichkeit, mit modernster Technik Menschen zu retten, ist der Erfahrung und dem Enthusiasmus aller Generationen vor Ihnen geschuldet.  Erfahrung ist wichtig, Respekt vor der Aufgabe jedoch  unabdingbar.

Planen Sie öffentliche Vorlesungen?

Das organisiert der Verlag, die Möglichkeit besteht bei entsprechender Nachfrage durchaus.

Textprobe:

Foto: Donat Verlag

Das Schiff wurde immer noch gelöscht. 4000 Tonnen Kakao in Säcken warteten darauf, in die mächtigen Lagerschuppen ge­bracht zu werden. Eine wertvolle Fracht, und deshalb von den Tallyleuten peinlichst genau gezählt und inspiziert. Selbst kleine Flecken, die einen Hinweis darauf gaben, dass der Sack auf der Seereise mit Feuchtigkeit in Berührung gekommen war, führten zu Reklamationen. Nicht immer stimmten Ablader und Empfän­ger überein, was häufig schon einmal mit wilder Gestik verbun­den war und zu Diskussionen führte. Die Szenerie glich einem überdimensionalen Ameisenhaufen. Kräne drehten sich, Gabel­stapler fuhren wild durcheinander, und dazwischen wurden auch noch Eisenbahnwaggons verschoben. Wer steigt denn da noch durch, wer weiß, wo hier die Fäden zusammenlaufen? Je länger er dem Treiben zuschaute, desto mehr spürte Jan, dass dem ver­meintlichen Chaos ein gut durchstrukturierter Ablauf innewohn­te.

Er betrat das Deck und merkte schnell, dass alles anders war, als er es sich vorgestellt hatte. Die Hektik des Hafens schien auch an Bord zu herrschen. Überall liefen Leute umher. Einer schien wichtiger als der andere – es war einem Anfänger nicht einseh­bar, was hier wirklich los war.

Vom Bootsdeck sah er in die Luke 3. Mit der Hand packten die Schauerleute Sack für Sack in große Brooken, einer Kon­struktion aus Hanfseilen und Segeltuch. Jedes Mal verließen fünfzehn Säcke die mit abnehmender Anzahl des Kakaos immer größer wirkende Luke. Sechs Mann schafften etwa zweihundert Tonnen in einer Schicht von acht Stunden. Hammerharte Arbeit, die manchem eine Dauerkarte beim Orthopäden bescherte. War die Ladung gelöscht, konnte man fünfzehn Meter tiefer noch ein paar Seeleute erkennen, die die Reste – sogenannte Fegsel – zu­sammenkehrten. Das waren schon mehr als beachtliche Dimensi­onen. So ein leerer Laderaum war viel größer, als man von außen einzuschätzen vermochte.

Er öffnete eine schwere, seefeste Stahltür, die mit einem gro­ßen Schild „Deck Office“ versehen war, und befand sich in einem langen Gang voll mit Menschen. Auch hier wuselten Hafen­arbeiter, Seeleute, Behördenmitarbeiter und andere, sogenannte Administrative, herum und taten höchst beschäftigt. Fast alle rauchten, es roch wie in einer Kneipe. Mittendrin stand er da, et­was hilflos und wollte sich an Bord anmelden.