Kleiner Seegang – Brina´s maritime Kolumne „So ein Theater!“

Liebe Leser,

was machen Sie denn abends immer auf dem Kreuzfahrtschiff nach dem Essen? Gehören Sie vielleicht auch zu den treuen Theatergängern? Ob das Kreuzfahrtschiff nun groß oder klein ist, ein Theater oder eine Showlounge ist immer an Bord. Das hat seine Tradition seit den frühen ersten Kreuzfahrttagen und ist ein wichtiger Bestandteil der abendlichen Unterhaltung an Bord. Es gibt Kreuzfahrer, die lassen sich keine Darbietung im Theater entgehen. Mich finden sie von Zeit zu Zeit abends dort, aber dann muss schon etwas wirklich Interessantes geboten werden. Ansonsten sitze ich abends nämlich lieber ganz entspannt mit einem Drink an Deck und betrachte die Heckwelle, die immer wieder anders aussieht. Was aber nun an Programmen im Theater zumeist angeboten wird, hat mit dem klassischen Begriff ,Theater‘ (aus dem Altgriechischen théatron ,Schaustätte‘) meistens nichts mehr zu tun. Laut Wikipedia ist Theater die Bezeichnung für eine szenische Darstellung eines inneren und äußeren Geschehens als künstlerische Kommunikation zwischen Akteuren (Darstellern) und dem Publikum. Denken Sie an ihre letzte Kreuzfahrt und an die Programme im Theater, fühlten Sie da bei ihrem Besuch ein inneres Geschehen? Vielmehr war es doch so, dass das Theater wie immer rappelvoll war, eine mehr oder weniger gute Show- oder Tanztruppe über die Bühne hüpfte und nach einer Stunde war der Spuk vorbei? Oder war es gar ein Comedian, über den sie gar nicht lachen konnten? Aber auch abendliche Vorträge über kommende Reiseziele werden gern im Theater abgehalten. Sie merken langsam. worauf ich hinaus will? Genau, heute geht es um das Theater an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Bedenken Sie, was es alles im Laufe seiner Zeit zu sehen und zu hören bekommt. Angefangen von Seenotrettungsübungen, über künstlerische Darstellungen bis hin zum Kofferlager. Was ein Theater denken, fühlen und erleben kann, erfahren Sie heute im Kleinen Seegang ,So ein Theater‘!

Maritime Grüße,

Ihre Brina Stein

So ein Theater!

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

Es ist kurz vor 20 Uhr am Abend und die Gäste strömen nach und nach in mich hinein. Heute – am Anreisetag – steht kein Showprogramm auf der Tagesordnung, sondern die obligatorische Seenotrettungsübung, bei der ich für einen Teil der Passagiere als Musterstation A fungiere. Die braven Kreuzfahrer haben ihre orangen Rettungswesten fast alle schon an, was natürlich ein Geschiebe und Gedränge mit sich bringt. Eigentlich ist das Anlegen der Westen erst im Theater vorgesehen, doch die Passagiere halten sich selten an diese Regel. „So ein Theater!“, höre ich eine männliche Stimme. Erst denke ich. der lobt mich, doch an der Betonung seiner Worte merke ich, der Mann ist genervt und meint mich gar nicht! „Herbert, jetzt reiß dich zusammen“, zischt ihn seine Frau an. „Seit unserem Aufstieg meckerst du nur rum. Du hast mir diese Kreuzfahrt zu unserer Silberhochzeit versprochen und nun sei still.“ Ich schaue genauer hin. Dass dieses Paar schon 25 Jahre verheiratet sein soll, überrascht mich. Sie sehen deutlich jünger aus. Herbert seufzt ergeben vor sich hin und brummelt etwas, was ich nicht verstehe, vor ich hin. Passagiere zu beobachten. finde ich immer spannend. Sie werden angewiesen. sich in Reihe zehn zu setzen. „Die Seenotrettungsübung um 20 Uhr ist eine Frechheit“, schimpft Herbert wieder, „erst die Schlange am Check-in, dann musste man sein Abendessen hinunterschlingen und nun hocken wir hier doof rum und nichts passiert.“ Seine Frau reagiert, indem sie ihn sanft vor das Schienbein tritt. Herrlich. so eine lange Ehe! Dabei haben die zwei sich eine schöne und sehr außergewöhnliche Kreuzfahrt ausgesucht. Um 19 Uhr haben wir in Kiel abgelegt und werden nun in den nächsten zwanzig Tagen Grönland und Island besuchen. Hoffentlich ist Herbert dafür zu begeistern. Im Verlauf der Reise sehe ich das Paar immer wieder am Abend im Theater. Zumindest die Frau scheint sehr interessiert zu sein. Sie klatscht

laut Beifall, lacht über jeden noch so kleinen Witz des Kreuzfahrtdirektors und ist stets sehr elegant gekleidet. Auch plauscht sie gern mit ihren Sitznachbarn. Jeden Abend lässt sie sich einen anderen bunten Cocktail zum Programm servieren. Herbert sieht eigentlich jeden Abend genervt aus. Gerade heute fällt mir das wieder auf. Wir hatten eine tolle Passage in Grönland und das bei bestem Wetter. Die Gäste sahen Eisberge, Pinguine und sogar ein Eisbär hatte sich auf einer kleinen Insel blicken lassen. Für Herbert anscheinend kein Grund zur Aufheiterung. Wie immer bestellt er sich vor dem Showprogramm, heute steht der Musical-Abend auf dem Programm, ein großes Bier und schläft nach exakt 30 Minuten ein. Zum Glück schnarcht er nicht. Seine Frau tut wie immer so, als ob sie es nicht bemerkt und weckt ihn mit dem inzwischen bekannten Tritt fünf Minuten vor dem Programmende. Dann stürzt Herbert den Rest seines Bieres hinunter. Langsam verstehe ich. wie eine Ehe aussieht, in der man sich arrangiert hat. Am vorletzten Abend findet auf meiner Bühne immer das große Flitterwochen- und Hochzeitsreisentreffen mit dem Kapitän und den Offizieren des Schiffes statt. Wir haben gerade den Hafen von Invergordon, Schottland, verlassen, wieder bei traumhaftem Wetter. Als ich Herbert und seine Frau eintreten sehe, bin ich überrascht. Herbert strahlt über alle Backen und sieht richtig fröhlich aus. Ich tippe darauf, dass er entweder heute Nessie persönlich gesehen hat oder aber dem Whisky in einer der zahlreichen Destillerien zugesprochen hat. Sie betreten die Bühne und der Kapitän begrüßt sie mit Handschlag. Ein Kellner reicht Champagner. Gemeinsam mit dem Kapitän stoßen sie an. Herbert redet ganz gegen seine Gewohnheit und lobt das Kreuzfahrtschiff und sein aufmerksames Personal. Der Kapitän freut sich und lächelt. Ich verstehe die Welt nicht mehr und überlege. Gestern hatte ich das Paar nicht gesehen. Da hatten wir im Hafen von Tỏrshavn, den Färöer Inseln gestoppt und waren erst spät ausgelaufen. Die meisten Gäste waren müde gewesen von den vielen Eindrücken und bei mir auf dem Programm hatte auch nur die Videovorführung einer Oper gestanden. „So ein schönes Theater! Und jeden Abend ein interessantes, anderes Programm!“, schleimt Herbert den Kapitän weiter zu. Dieses Mal meint er mich tatsächlich! Der Kapitän nickt höflich. Herberts Frau lächelt, allerdings scheint es mir aufgesetzt, und bahnt sich den Weg zum Kreuzfahrtdirektor. Dieser begrüßt sie sehr vertraut, wie ich finde. Wie selbstverständlich hakt sie sich bei ihm unter. Was war bloß an Land geschehen? „Ihren Mann haben Sie jetzt wohl im Griff“, stellt der Kreuzfahrtdirektor grinsend fest. „Toll, was?“, fragt Herberts Ehefrau nach und blinzelt ihm erstaunlich kokett für ihr Alter zu. Dieser nickt. „Was der örtliche Reiseleiter Dan in Schottland alles bewirkt hat“, schwärmt die Frau und grinst. „Herbert hat die Sache tatsächlich ernst genommen und vor allem geglaubt. Zu schön, wie Dan am Loch Ness vor mir auf die Knie fiel und um meine Hand bat. Nun, ein blaues Auge hat er dafür von meinem Mann kassiert, aber seitdem ist Herbert wie ausgewechselt.“ „Kaum zu übersehen“, sagt der Direktor und freut sich mit, „na ja, Dans Gage war ja auch gut, Schmerzensgeld eben.“ Die Frau greift in ihre Handtasche und zückt einen Hunderteuroschein, den sie dem Kreuzfahrtdirektor diskret zusteckt. „Kein Problem, es war eine gute Idee von Ihnen. Stellen Sie sich vor, heute Nachmittag schlug Herbert tatsächlich vor, nächstes Jahr wieder eine Kreuzfahrt zu machen. Die Seeluft würde ihn beflügeln.“ Die zwei grinsen sich an, wie sich eben zwei Komplizen nach einem gelungenen Komplott zulächeln. Ich denke: „So ein Theater!“