Kleiner Seegang – Brina´s maritime Kolumne „Die Jungfernfahrt“

Liebe Leser,

„Alles neu macht der Mai!“ Sicher kennen Sie auch dieses berühmte Sprichwort, das seinen Ursprung in einem Gedicht von Hermann Adam von Kamp schon im Jahre 1818 fand? Zahlreiche Neuigkeiten aus der Schiffsbranche gibt es aber schon seit Beginn des Jahres. Von den insgesamt 26 neuen Hochsee-, Fluss- und Spezialkreuzfahrtschiffen, die 2017 in Dienst gehen sollen, sind die ersten bereits getauft, auf den Meeren und Flüssen unterwegs und haben somit ihre Jungfernfahrt schon lange hinter sich. Und genau um das Thema geht es in diesem Monat in meiner Kolumne. Wikipedia sagt: „Als Jungfernfahrt wird die erste Fahrt eines Wasser- oder Landfahrzeugs unter realen Bedingungen bezeichnet.“ Diese fand früher in der Regel nach der Taufe statt. Heute, in der modernen Zeit, ist alles ein wenig anders geworden. Es gibt oft schon Kreuzfahrten, die vor der eigentlichen Taufe stattfinden für alle Fans, die es vor lauter Vorfreude nicht abwarten können. Diese sind meistens nur zwei bis drei Tage lang, ermöglichen es der Reederei aber, ihr neues Produkt zu testen und den Passagieren eine Schnuppertour zu bieten. Nicht jeder will sich schließlich die um ein Vielfaches teurere Jungfernfahrt leisten. Trotzdem kann ich wirklich jedem nur raten, einmal im Leben an einer richtigen Jungfernfahrt teilzunehmen, denn diese Reise hat ihr besonderes und eigenes Flair. Meine erste Jungfernfahrt war 2009, als die Mein Schiff 1 noch Mein Schiff hieß. Die Taufe fand zwei Tage vorher getrennt statt und als wir mit der Mein Schiff im Juni 2009 aus dem Hafen von Kiel fuhren, hat das nicht viele Leute interessiert. Heute wäre das Medieninteresse sicherlich ein anderes. Nicht alle Abläufe klappen schon reibungslos auf einer Jungfernfahrt und irgendwie macht das auch ihren Reiz aus. Man fühlt sich als Gast als Teil von etwas Neuem. Und eine Jungfernfahrt muss ja auch nicht immer so dramatisch enden wie die der Titanic. Eher heitere Momente einer solchen Fahrt beleuchtet heute der Kleine Seegang „Die Jungfernfahrt“.

Maritime Grüße,

Ihre Brina Stein

Die Jungfernfahrt

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

Der fünfte Tag der Jungfernreise ins Baltikum hatte begonnen. Vom Ausgangshafen Kiel aus war das neue Kreuzfahrtschiff mit einem Seetag nach Danzig gereist. Gestern hatte es bei zauberhaftem Wetter und viel Maisonne den Hafen von Klaipeda besucht. Für den morgigen Tag war der Anlauf von St. Petersburg geplant, für viele der Jungfernfahrtgäste das absolute Highlight auf dieser Route. Der Check-in in Kiel war noch ein kleines Durcheinander gewesen, doch langsam fand die Crew zur Routine. In den verschiedenen Restaurants hatte heute beim Mittagessen alles perfekt geklappt. Im Buffetbereich wurden die Speisen rechtzeitig nachgelegt und im Restaurant, in dem die Gäste bedient wurde, mussten sie nicht länger als fünfzehn Minuten auf ihre Bestellung warten. Rita, Ute und Rosi, drei noch sehr rüstige Landfrauen aus dem Großraum Hannover, die um die 60 Jahre alt waren, schlurften nach dem Mittagessen vom Restaurant aus zwei Decks tiefer in die Aquarium-Bar. Dort angekommen, freuten sie sich auf einen doppelten Espresso und einen Grappa, um das wirklich hervorragende Mittagsmenü noch besser zu verdauen. Die Aquarium-Bar war die einzige Bar an Bord, in der das Rauchen noch erlaubt war, dementsprechend ruhig war es dort auch. Von den drei Freundinnen rauchte nur Rita, aber Ute und Rosi machte das nichts aus. Als sie eintraten, winkte ihnen schon der junge Kellner Rodel und rief: „Wie ümmer?“ Die Frauen lachten, denn sie mochten den jungen Mann, der von den Philippinnen kam und wirklich sehr bemüht war, Deutsch zu lernen. Gestern hatten sie erfahren, dass fast die ganze Barcrew morgens immer Deutschunterricht bekam, um ihre Sprache zu erlernen. Rodel hatte den Frauen geklagt, wie schwer die Hausaufgaben immer seien und so hatten sie versprochen, ihm nach dem Mitttagessen zu helfen. Nachdem Rodel die Getränke serviert hatte, brachte er schüchtern sein Schulheft mit. Rita bedeutete ihm, sich zu setzen, doch Rodel bestand darauf, stehen zu bleiben. „Was muss er denn machen?“, fragte Ute interessiert nach.

„Ach, er soll auf Deutsch schreiben, was er auf dem Bild sieht.“ Sie deutete auf das Bild und fragte Rodel: „Was macht die Frau da auf dem Foto?“ Er zuckte mit den Schultern. Rita sagte: „Sie geht zum Markt!“ „Mark? No, Euro“, antwortete der Junge. Ute brach in einen Lachkrampf aus. Rosi nahm Rita das Heft weg und schrieb in ihrer sehr leserlichen Schrift: „Die Frau geht zum Markt.“ Rita bedeutete ihm, drei neue Gläser gefüllt mit Grappa zu bringen. Sie brauchte nun dringend Nervennahrung. Rodel servierte sofort. Rosi hatte eine Idee. Sie nahm den Kellner bei der Hand und spielte mit ihm einen Marktbesuch nach. Sie zeigte auf das Aquarium und sagte: „Wir wollen Fisch kaufen.“ Rodel deutet auf einen besonders bunten Fisch und sagte: „Fisch?“. Rosi nickte. Er strahlte. „Wi wüllen Fiiisch kaufe“, wiederholte er. Dann schleppte Rosi ihn zur Bar und zeigte auf die Schalen mit den Zitronen. „Wir brauchen auch noch Zitronen“, sprach sie ihm vor. Er verstand und wiederholte den Satz, dieses Mal mühelos und einwandfrei. Rita und Ute klatschten Beifall. „Was ist denn hier los?“, ertönte plötzlich eine Stimme. Die Frauen sahen sich um und erblickten den deutschen Barchef. „Nix“, meinte Rita. „Wir helfen Rodel nur dabei, Deutsch zu lernen“, piepste Rosi unsicher, während dieser sich beeilte, sein Schulheft hinter der Bar verschwinden zu lassen. „Dazu hatte er in seiner Heimat drei Monate Zeit“, knurrte der Chef, besann sich dann aber schnell und fragte wesentlich höflicher nach, ob er sich zu den Frauen setzen dürfte. Diese nickten. Er nahm Platz und deutete auf die leeren Gläser. „Vielleicht noch einen Grappa auf Kosten des Hauses?“, versuchte er es charmant. „Wir haben das Getränkepaket, danke“, lehnte Rita schroff ab. Der Mann verstand. Er änderte seine Taktik und berichtete den Frauen, wie schwer es doch für ihn als Barchef auf dieser Jungfernfahrt sei, mit dem neuen Personal zu arbeiten. Alle Gäste würden die deutsche Sprache erwarten, doch aufgrund der knappen Zeit hatte man auch Kellner ohne deutsche Sprachkenntnisse nehmen müssen. Nun würde es täglich Beschwerden der Gäste von allen Seiten hageln. „Na, von uns nicht“, unterbrach ihn Rita und machte Anstalten, sich eine Zigarette anzuzünden. Galant zückte der Barchef sein Feuerzeug, doch die Landfrau war schneller gewesen. „Wenn Sie hier morgens Schulunterricht veranstalten, der nichts bringt, dann können Sie das auch gleich lassen“, meinte Ute mit gehässiger Stimme. „Man muss das spielerisch machen“, versuchte Rosi es wesentlich versöhnlicher. Der Barchef sah die Frauen nacheinander an und dachte: Klasse, drei alte Jungfern auf Jungfernfahrt, die mir nun auch noch gute Ratschläge geben wollen. Das habe ich gerade noch gebraucht. Dass er den Frauen damit unrecht tat, wusste er natürlich nicht. Weder waren sie Jungfern, noch war ihr Rat falsch. Rasch stand er auf und entschuldigte sich, angeblich warteten in seinem Büro Berge von Papierkram auf ihn. Als er die Bar verlassen hatte, wandte sich Rita nach Rodel um, zeigte auf die Schnapsgläser und grölte: „Noch mal drei.“ „Ja, gern“, war seine Antwort. Dann wandte sich Rita wieder ihren Freundinnen zu: „Bei so einer Jungfernfahrt bekommt man mal ganz neue Einblicke in die sonst so routinierte Servicewelt der Kreuzfahrt. Jede Wette, dass der blöde Barchef gedacht hat, wir wären drei alte Jungfern und hätten keine Ahnung von Kreuzfahrten.“ Ute und Rosi lachten laut auf und hauten sich auf die Schenkel. Die Freundinnen waren überaus kreuzfahrterprobt. Rodel servierte und freute sich über die gute Stimmung am Tisch. „Auf Rodel“, rief Rita aus. Der Kellner verstand und lächelte. „Auf die Dschungfern“, kam es zögerlich und natürlich ein wenig falsch von ihm. Rita haute dem Kellner gut gelaunt auf die Schulter. „Du lernst schnell“, fand sie lächelnd.