Kleiner Seegang – Brina´s maritime Kolumne „Der Container ihres Lebens“

Liebe Leser,

nicht nur Kreuzfahrtschiffe fahren auf den sieben Weltmeeren herum, sondern auch Frachter, die mit Containern beladen sind. Wussten Sie, dass die ersten Container bereits im Jahr 1956 von dem Amerikaner Malcom McLean verschifft wurden? Er sagte damals: „Ich habe keine Schiffe, ich habe seegängige LKWs.“ Der Begriff ‚Container‘ ist aus dem Lateinischen abgeleitet, von dem Verb ‚continere‘ und bedeutet so viel wie ‚zusammenhalten / enthalten‘. Mehr als 120 Millionen Container werden inzwischen jährlich über die Meere verschifft. Bestimmt lagen auch Sie schon einmal auf einer Kreuzfahrt in einem hässlichen Containerhafen und konnten dem Schauspiel der Verladung zusehen. Einige Momente ist das ja ganz spannend, aber bei einem mehrtägigen Aufenthalt kann der nicht zu verhindernde Geräuschpegel der Arbeiten auch gehörig nerven. An ein kleines Schläfchen auf dem Sonnendeck ist dann nämlich nicht mehr zu denken, geschweige denn an eine nette Unterhaltung an der Pool-Bar. Die Häfen von Livorno oder Buenos Aires habe ich persönlich im Kopf, wenn ich an Containerhäfen und längere Aufenthalte denke. Deutlich ruhiger verlaufen da die Begegnungen auf See. Schon oft habe ich gestaunt, wie hoch die Container an Deck gestapelt sind. Ich überlege stets, ob da nicht mal bei größeren Stürmen einer über Bord gehen könnte. Tatsächlich schätzt man die Zahl der verlorenen Container zwischen 2.000 und 10.000 Stück pro Jahr ein. Saugen sie sich mit Wasser voll, dann sinken sie. Manche sinken aber auch nicht, sondern treiben nur wenige Meter unterhalb der Wasseroberfläche und bilden so eine große Gefahr für die Schifffahrt. Verschifft wird heutzutage so gut wie alles: DVD-Player, Mobiltelefone, Laufschuhe, Autozubehörteile, Werkzeugmaschinen und sogar flüssige Güter in verschlossenen Plastikbehältern. Manchmal transportieren Container aber auch ganze Hausstände, zum Beispiel nach Übersee. Was passiert, wenn dabei ein Sturm aufzieht, können Sie heute im Kleinen Seegang ‚Der Container ihres Lebens‘ lesen.

Ihre Brina Stein

Der Container ihres Lebens

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

In ihrer kleinen Kabine, die direkt über der Brücke des Containerschiffes lag, wurde sie hin und her geschüttelt. Sie schaute aus dem Fenster und sah, dass hohe Wellen immer wieder den Bug überspülten. Himmel, dachte sie, ich habe Angst. Plötzlich überkam sie ein Würgen. Schlingernd, als wäre sie betrunken, bahnte sie sich den Weg zum Badezimmer. Sie schaffte es gerade noch, den Toilettendeckel zu öffnen, da landete das Spiegelei mit Speck und Bohnen, welches ihr heute Morgen noch so gut geschmeckt hatte, unverdaut in der Toilette. Ihr brach der Schweiß aus. Rasch betätigte sie den Spülknopf, klappte den Deckel des WCs herunter und setzte sich auf diesen. Ihre Beine zitterten. Hoffentlich werde ich nicht seekrank, überlegte sie. Dann dachte sie darüber nach, dass ihr das bisher noch nie passiert war. Sie hatte in ihrem Leben schon einige Schiffsreisen gemacht. Das waren allerdings Fahrten auf Kreuzfahrtschiffen gewesen. Von Gran Canaria in Richtung Madeira war mal Windstärke 10 gewesen oder die hohen Wellen südlich um Australien herum, die von einem Vulkanausbruch auf Vanuatu herrührten. Das alles hatte ihr nichts ausgemacht; doch heute fühlte sie sich elend. Vor vier Tagen hatte das Frachtschiff Hamburg verlassen und sie befand sich nun mitten auf dem Atlantik, noch zwei Tage vom Zielhafen New York entfernt. Sie war Bloggerin mit dem Schwerpunktthema Reisen. Vier Jahre hatte es gedauert, aber nun war sie in der Branche anerkannt und ein großes, amerikanisches Reisemagazin hatte sie gleich für drei Jahre unter Vertrag genommen und sogar den Umzug nach New York inklusive dieser Schiffsreise vorab bezahlt. Sie versuchte aufzustehen, es ging mehr recht als schlecht und in der Kabine ließ sie sich sofort auf ihr Bett fallen. Sie klickte auf das Touchpad ihres Computers und sah, dass keine WLAN-Verbindung existierte. Auch das noch. Sie hatte sich vorgenommen, jeden Tag mindestens einen Blogeintrag auf ihrer Seite zu verfassen. Sie hatte täglich fast 5.000 Besucher und die waren es gewohnt, von ihr zu lesen, wenn sie auf Reisen war. Und nun machte ihr die Technik schon am zweiten Tag einen Strich durch die Rechnung. Das konnte sie sich eigentlich nicht leisten. Sie war letzten Monat 40 Jahre alt geworden, seit einem Jahr geschieden und jetzt wollte sie nochmal richtig durchstarten, in allen Lebensbereichen. Die Wellen knallten nun so laut an den Bug, dass sie es bis in ihre Kabine hörte. Sie schrak hoch. Ihr Container, der sich genau wie sie auf dem Schiff befand, hatte bei der Verladung im Hamburger Hafen seinen Platz nahe am Heck gefunden. Sie hatte ehrfürchtig gestaunt, wie hoch die Reederei diese Container gestapelt hatte, doch sie hatte Vertrauen. Auf einmal bewegte sich der Frachter und deutlich konnte sie beim erneuten Blick aus dem Fenster seine Schräglage erkennen. Sie hörte einen Knall, der wie ein Aufprall auf dem Wasser klang. Mein Container, durchfuhr es sie. Ob er ins Meer gefallen ist? Er beherbergte ihr ganzes bisheriges Leben. Angefangen von wertvollen Erbstücken ihrer Eltern, die lange schon verstorben waren, bis hin zum Kuscheltier, das sie schon als Baby in ihrem Bett liegen hatte. An die teuren Designermöbel und ihre Gemäldesammlung dachte sie erst im zweiten Schritt. Ich muss auf die Brücke, ich muss mit dem Kapitän sprechen, der muss das Schiff anhalten, überlegte sie. Tränen schossen in ihre Augen, als sie an alle ihre Habseligkeiten dachte, die jetzt womöglich und vielleicht für immer auf dem Meeresboden lagen. Sie selbst hatte mal von Containern im Internet gelesen, die über Bord gingen und deren Inhalt einige Tage später an irgendwelchen Küsten angespült wurde. Eine schreckliche Vorstellung. Sie setzte sich auf, zog entschlossen ihre Turnschuhe an und verließ die Kabine. Sie wankte den Gang entlang und schlug den Weg zur Brücke ein Deck tiefer ein. Als sie gerade die Treppe hinunterging, erfasste eine neue große Welle das Schiff und schleuderte sie hart gegen die Wand. Schmerzhaft rieb sie sich den Rücken. Vor der Tür zur Brücke verharrte sie kurz. Ob das richtig ist?, dachte sie. Der Kapitän, der aus Österreich kam, hatte sie zwar eingeladen, dass sie ihn immer und jeder Zeit auf der Brücke besuchen durfte und selbstverständlich auch über ihn bloggen durfte, aber ob ihm das jetzt zu diesem Zeitpunkt noch recht war? Egal, sie musste es riskieren, es ging schließlich um ihr Leben. Sie klopfte und trat ein. Das Schiff hatte immer noch Schräglage, aber sie sah einen Kapitän, der genüsslich eine Tasse Kaffee trank und sich dazu eine Zigarette genehmigte. Als er sie erblickte, lächelte er und meinte: „Da sind Sie ja, ich habe sie schon erwartet. Machen Sie doch Fotos, heute bläst der Atlantik mal ordentlich.“ Sie schalt sich einen Trottel, denn bei der Sorge hatte sie ihre Kamera in der Kabine vergessen. Das war ihr noch nie passiert. „Wir passieren gerade die Stelle, wo nördlich ca. 40 Seemeilen entfernt damals die Titanic gesunken ist“, plauderte der Kapitän fröhlich weiter. Eine Gänsehaut überkam sie. Als sie jedoch aus dem Brückenfenster schaute, stellte sie fest, dass kein Eisberg zu sehen war. Der Kapitän betrachtete sie genauer. „Stimmt was nicht?“, wollte er wissen. „Ich hörte einen Knall und ich mache mir Sorgen um meinen Container am Heck“, stammelte sie. „Ja, ja, die Wellen geben heute laute Geräusche von sich, das zieht sich vom Bug bis zum Heck“, erklärte er. Unsicher schaute sie ihn an. Er machte ihr ein Zeichen, näher zu kommen und schaltete die Kamera an, die das Heck zeigte. „Alle noch da“, sagte er lächelnd, „bei Atlantiküberquerungen sichern wir die hoch gestapelten Container immer noch mal extra. Mögen Sie einen Kaffee trinken?“ Erleichtert sackte sie auf den nächstbesten Stuhl. „Tee“, quetschte sie erleichtert hervor, „ein Becher schwarzer Tee wäre toll.“