Kleiner Seegang – Brina´s maritime Kolumne „Aufwärts“

Liebe Leser,

fahren Sie auf Kreuzfahrtschiffen Fahrstuhl oder nutzen Sie lieber die Treppen? Gerade auf den großen Kreuzfahrtschiffen kann das herkömmliche Treppensteigen ganz schön schweißtreibend sein. Also, ich nutze gern den Fahrstuhl, um an Bord mehrere Decks zu überwinden. Besonders haben es mir die Fahrstühle angetan, die komplett verglast sind und während der Fahrt noch eine schöne Aussicht bieten, zum Beispiel auf das Atrium. Bei der Tour aufwärts kommt man sich vor, als würde man schweben. Und das bei meiner ausgeprägten Höhenangst. Seitdem ich an Land mal in einem gläsernen Aufzug stecken geblieben bin, habe ich aber auch großen Respekt vor diesen Jungs. Was sie den ganzen Tag leisten und wen sie alles transportieren. Zudem ist ein Fahrstuhl auch ein Ort der Begegnung. Menschen treffen sich und verweilen auf engstem Raum für ein paar Minuten miteinander. Und das unfreiwillig. Ist Ihnen auch schon mal aufgefallen, dass während einer Fahrstuhlfahrt die meisten Menschen nach unten auf ihre Schuhe schauen? Ob das Verlegenheit oder Unsicherheit ist? Oder einfach die Überbrückung einer Situation mit zu viel Nähe? Ich steige jedenfalls in überfüllte Fahrstühle grundsätzlich nicht ein und muss deshalb auch nicht auf den Boden starren, sondern kann die Fahrt genießen. Allerdings finde ich es sehr nervig, wenn man gerade aufwärts fährt und es steigt ein Gast ein, der den Knopf eines viel tiefer gelegenen Decks drückt. Natürlich fährt der Fahrstuhl zuerst nach oben und nicht nach unten, aber warum tun Mitreisende so etwas? Man sieht doch an der Anzeige, ob es auf hoch oder runter geht. Ach ja, und dann sind da noch die lieben Kleinen, denen es unendlich Freude macht, auf alle Knöpfe zu drücken, sodass die Fahrtstuhlfahrt zur S-Bahntour mit unzählig vielen Haltestellen wird. Auch Fahrstühle haben natürlich eine Seele und ihre ganz eigene Sicht auf die Menschen, wie sie jetzt im Kleinen Seegang „Aufwärts“ lesen können.

Ihre Brina Stein

Aufwärts

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

Wir drei haben Pause. Es ist 11 Uhr vormittags und unser Kreuzfahrtschiff liegt in Kapstadt. Nahezu alle Gäste und Crewmitglieder, die frei haben, befinden sich an Land. Verständlich bei dieser traumhaften Destination. Wir haben aber auch deshalb Pause, weil wir heute geputzt werden. Das passiert regelmäßig, denn unser Glas, aus welchem wir zu neunzig Prozent bestehen und das durchsichtig ist, benötigt intensive Pflege. Dieses Mal hat es den kleinen Crew-Jungen von den Philippinen erwischt. Er ist mit einem Seil gesichert, das sein Kollege festhält und er schwebt mit seinem Mopp und einem Glasreiniger über uns. Seine Hände zittern. Wenn wir gereinigt werden, dann kitzelt das immer ein wenig. Ja, Sie haben es sich sicher schon gedacht, wir sind drei gläserne Fahrstühle und verbinden Deck 2 bis 10 miteinander. Wir fahren täglich unzählige Male vom Atrium zum Sonnendeck und zurück. Und das fast 24 Stunden lang, denn irgendein Passagier ist immer unterwegs. Unsere Namen sind Links, Mitte und Rechts. Zugegeben, nicht sehr einfallsreich, aber so nennen uns immer die Techniker und irgendwann haben wir das übernommen. Ich bin übrigens Mitte.

„Schade, dass keiner an Bord ist, diese Putzprozedur würde unsere Gäste sicher begeistern. Der Junge ist ja mehr gesichert als Luis Trenker in den Bergen“, kichert Links albern in diesem Moment. Rechts grinst. Es kommt nur selten vor, dass wir drei zugleich auf einer Ebene stehen und so nutzen wir die Zeit zu einem Plausch über die letzten Tage. Zwei Seetage hat die Überfahrt von Durban nach Kapstadt gedauert. Wir drei waren unermüdlich im Einsatz gewesen und nun verständlicherweise ein wenig aus der Puste. Rechts meint: „Heute Morgen ist eine Frau mit mir von Deck 10 hinuntergefahren, die hatte wirklich Höhenangst. Und wisst Ihr, wohin ihr heutiger Ausflug gehen sollte? Auf den Löwenkopf des Tafelbergs.“

Links und ich beginnen schallend zu lachen. Wie gut, dass unsere Gespräche keine Menschen hören können. Bei der Besteigung des Löwenkopfs müssen 350 Höhenmeter überwunden werden und selbst geübte Bergsteiger kamen recht müde zurück an Bord.Es bietet sich ein einzigartiger Ausblick auf Kapstadt und den Tafelberg, aber für Passagiere mit Höhenangst kann dies leicht zum Albtraum werden. Rechts berichtet uns daraufhin eine lustige Anekdote vom gestrigen Abend. Er beginnt regelrecht zu lästern. Eine ältere Frau hat ihn gemeinsam mit einem Kellner aus der Bar bestiegen. Kaum waren seine Türen zu, hat die Frau dem jungen Mann Angebote gemacht, die eindeutig nicht jugendfrei waren. Sie hatte sogar begonnen, ihn anzufassen, obwohl wir voll verglast sind und jeder aus dem Atrium sie sehen konnte. Sie wohnt in einer Suite auf Deck 6, aber als der Fahrstuhl zunächst ein Deck tiefer gehalten hat, ist der Kellner getürmt.

„Auf welche Ideen unsere Passagiere manchmal kommen“, meine ich und schüttele mich leicht. Das irritiert unseren Putzboy dermaßen, dass er das Gleichgewicht verliert und sein Kollege ihn nur mit größten Schwierigkeiten wieder sichern kann.

„Jetzt reiß dich mal zusammen“, faucht mich Links an, „der arme Junge.“

Schuldbewusst schweige ich. Nach einer Stunde sind die Reinigungsarbeiten beendet. Der Chef vom House-Keeping erscheint. Mit seiner weißen Uniform bekleidet, stellt er eine wirkliche Respektperson dar. Er geht um uns herum, zieht immer mal wieder ein weißes Tuch aus seiner Hosentasche und überprüft unseren Reinigungsstand. Der Philippine sieht verlegen zu Boden und wartet. Er ist erst zwei Monate an Bord. Normalerweise läuft er den ganzen Tag auf den Außendecks herum und putzt dort mit seinem Mopp. ‚Deck-Adjutant‘ nennt sich dieser Beruf. Sein Vertrag läuft neun Monate und sieben Tage in der Woche ist er im Einsatz. Trotzdem ist er froh, diese Arbeit zu haben. Zu Hause lebt eine Großfamilie von seinen Einkünften und er verdient hier an Bord um ein Vielfaches mehr als in einem Hotel in seiner Heimat. Der Chef vom House-Keeping lächelt schließlich und machte seinem Mitarbeiter ein Zeichen, in mich einzusteigen. Umständlich erklärt er ihm, wie und mit welchen Putzmitteln wir Fahrstühle von innen gereinigt werden müssen. Außerdem verspricht er ihm, dass er ab der nächsten Reise auch zur Kabinenreinigung eingesetzt werden würde. Der junge Mann strahlt, denn er versteht, dass man seine Arbeit schätzt und ihm neue Aufgaben geben würde, die sich sicherlich auch im Lohn niederschlagen würden. Absolut motiviert beginnt er sofort mit einem Putztuch über meine diversen Deckknöpfe zu wischen. Doch sein Chef macht ihm ein Zeichen, damit aufzuhören. Die Innenreinigung wird heute noch ein Kollege vornehmen. Er bedeutet ihm, nach Deck 9 hinaufzufahren und seine Arbeit auf den Decks wieder aufzunehmen. Der Junge schaut ein wenig traurig, aber er gehorcht, drückt meinen Knopf und schon gleite ich in die Höhe.

„Sei nicht traurig, Junge, es geht aufwärts“, raune ich ihm zu und finde es ausnahmsweise schade, dass die Menschen uns nicht hören können.