Lebensader Nord-Ostsee-Kanal – Wirtschaft fordert umfassende Modernisierung

Parlamentarischer Abend zum Nord-Ostsee-Kanal: Wirtschaft fordert umfassende Modernisierung

  • Verkehr durch den Kanal wird weiter zunehmen
  • Deutsche Seehäfen, Wirtschaft am Kanal und internationale Schifffahrt sind auf uneingeschränkte Befahrbarkeit angewiesen
  • Masterplan und Personalaufstockung in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung bilden Rückgrat eines effektiven Erneuerungsprogramms
Foto: Initiative Kiel-Canal e.V. / Yorck Maecke

Foto: Initiative Kiel-Canal e.V. / Yorck Maecke

Mehr als 100 Gäste, unter ihnen gut 20 Mitglieder des Deutschen Bundestages, haben sich am Dienstagabend (23.09.2014) in der Landesvertretung Schleswig-Holstein in Berlin umfassend über den aktuellen Zustand sowie den Investitionsbedarf am Nord-Ostsee-Kanal informiert.

Eingeladen hatte zu dem Parlamentarischen Abend unter dem Motto “Lebensader Nord-Ostsee-Kanal – Maritime Logistik für Deutschland und Europa” die Initiative Kiel-Canal e.V. in Zusammenarbeit mit dem Zentralverband Deutscher Schiffsmakler e.V., Hafen Hamburg Marketing, der Arbeitsgemeinschaft Niedersächsische Seehäfen, Seaports of Niedersachsen, dem Gesamtverband Schleswig-Holsteinischer Häfen e.V., der IHK Nord, dem JadeWeserPort und Via Bremen. Jens Broder Knudsen, Vorsitzender der Initiative Kiel-Canal e.V., erinnerte in seinem Grußwort an die vielfältigen Funktionen der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt: “Der Nord-Ostsee-Kanal ist weit mehr als nur ein wichtiges Element des europäischen Verkehrswegenetzes, er ist vielmehr ein unverzichtbares Tor für die exportorientierte deutsche Wirtschaft”, betonte Knudsen. Gemeinsam mit den deutschen Seehäfen sei er ein unverzichtbarer Standortfaktor für die Exportwirtschaft der Bundesrepublik und sichere Beschäftigung sowie Wertschöpfung auch in südlichen Binnenländern wie Baden-Württemberg und Bayern. Direkt hingen Tausende Arbeitsplätze vom Kanal ab, fügte Knudsen hinzu. Nicht zu vernachlässigen sei außerdem seine Bedeutung für den Klimaschutz: “Der Weg in die Ostsee ist durch den Nord-Ostsee-Kanal bis zu 800 km kürzer als um die Nordspitze Dänemarks”, erläuterte Jens Broder Knudsen, “800 km weniger Wegstrecke bedeuten je nach Schiffstyp bis zu 50 t weniger Treibstoffverbrauch – und weniger Treibstoffverbrauch bedeutet weniger Emissionen und damit eine Entlastung unseres Klimas”.

Große Bedeutung für Seehäfen und die Wirtschaft am Kanal

Mit den anderen Referenten des Parlamentarischen Abends war sich Knudsen darin einig, dass der Kanal immer weniger in der Lage ist, dem Verkehrsbedarf gerecht zu werden. Mit deutlichen Worten kritisierte Dr. Andreas Schmidt, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Niedersächsische Seehäfen und Geschäftsführer der Rhenus Midgard GmbH & Co. KG, den gegenwärtigen Zustand der Wasserstraße: “Der Nord-Ostsee-Kanal ist durch Schleusenausfälle und einen nicht mehr zeitgemäßen Ausbauzustand zum Nadelöhr geworden. Eine Modernisierung dieser Wasserstraße ist dringend erforderlich und im Interesse der niedersächsischen Seehäfen und der gesamten deutschen Exportwirtschaft”. Unterstützung erfuhr er von den anderen großen deutschen Nordseehäfen. Für Ingo Egloff, Vorstand Hafen Hamburg Marketing e.V., steht fest, dass der Hamburger Hafen in seiner Funktion als logistische Drehscheibe des seeseitigen Außenhandels zur Abwicklung der wachsenden Güterströme auf einen funktionsfähigen und störungsfrei befahrbaren Nord-Ostsee-Kanal angewiesen ist. Der Kanal sei als kürzeste, schnellste und umweltfreundlichste Seeverbindung in den Ostseeraum für die zukünftige Entwicklung der Industrie und Hafenwirtschaft in der erweiterten Metropolregion Hamburg von größter Bedeutung. Der Erhalt und Ausbau des Kanals sei im Rahmen der Verkehrsinfrastruktur Deutschlands eine nationale Aufgabe und zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und Häfen unbedingt erforderlich. “In der Funktion als zukünftiges Drehkreuz für europäische Verteilerverkehre, insbesondere mit Skandinavien, den osteuropäischen EU-Ländern und Russland, ist Wilhelmshaven mit dem Container Terminal im JadeWeserPort auf die uneingeschränkte Befahrbarkeit des Nord-Ostsee-Kanals angewiesen”, bestätigte auch der Geschäftsführers der Container Terminal Wilhelmshaven JadeWeserPort-Marketing GmbH & Co. KG, Andreas Bullwinkel, “Ziel ist es, jederzeit funktionierende Lieferketten in den baltischen Raum anbieten zu können”. Doch nicht nur für die deutschen Seehäfen hat die uneingeschränkte Verfügbarkeit des Nord-Ostsee-Kanals einen hohen Stellenwert. Frank Schnabel, Vorstandsvorsitzender des Gesamtverbands Schleswig-Holsteinischer Häfen und Geschäftsführer der Schramm Group, erinnerte am Rande des Parlamentarischen Abends an die Bedeutung für viele Betriebe im direkten Einzugsbereich: “Als meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt ist der Kanal nicht nur eine Transitwasserstraße für die weltweite Seeschifffahrt und den Hafen Hamburg, sondern ebenso von immenser Bedeutung für die ansässigen Industrie- und Handelsunternehmen, da die Kanalhäfen die Funktion der Ver- und Entsorgung der Unternehmen übernehmen und ebenso wichtige Transitverladungen über die Häfen abgewickelt werden”.

Umfassende Modernisierung “ein echtes Marktbedürfnis”

Als Vorsitzender der Initiative Kiel-Canal zeichnete Jens Broder Knudsen ein ernüchterndes Bild der gegenwärtigen Verhältnisse am Kanal: Zum Teil jahrzehntelang aufgeschobene Investitionen führten zu immer häufigeren Ausfällen der Schleusenanlagen und machten den Kanal damit zu einem für die Reeder unkalkulierbaren Nadelöhr. Die beiden Kammern der sogenannten “Kleinen Schleuse” in Kiel-Holtenau seien baufällig und bereits seit längerer Zeit komplett außer Betrieb, die “Große Schleuse” in Brunsbüttel arbeite mit Provisorien, die auch in den kommenden Jahren jederzeit Ausfälle befürchten lassen. Aus dieser Unzuverlässigkeit sei ein Imageproblem erwachsen, das den Kanal schon jetzt belaste und inzwischen an den Transitzahlen auch statistisch ablesbar sei. Ein rasches, umfassendes Modernisierungsprogramm für den Kanal sei daher unabdingbar. Diese Einschätzung bestätigte am Rande des Parlamentarischen Abends Dr. Alexander Geisler, Geschäftsführer des Zentralverbands Deutscher Schiffsmakler e.V. (ZVDS): “Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine internationale Wasserstraße, man muss sich darüber in Klaren sein, dass jede noch so kleine Störungen von der Kundschaft im Ausland sehr genau wahrgenommen wird”. Für den ZVDS seien Instandsetzung und Ausbau des Kanals – wie auch der Ausbau der anderen Wasserstraßen – ein echtes Marktbedürfnis. “Kommt es zu weiteren Verzögerungen, so wird dies die Anstrengungen der Schiffsmakler, Verkehre anzuziehen und Vertrauen bei den Reedereien für die deutschen Häfen aufzubauen, zunichtemachen”, gab sich Dr. Alexander Geisler überzeugt.

Forderungen: Schleusenerneuerung, Begradigung, Vertiefung

Ausdrücklich lobten die Redner des Parlamentarischen Abends, dass die Bundespolitik in den vergangenen Monaten wichtige Weichen für die Zukunft des Nord-Ostsee-Kanals gestellt habe. Neben dem beschlossenen Neubau einer fünften Schleusenkammer in Brunsbüttel sowie der Begradigung der Oststrecke vor Kiel seien jedoch auch eine Erneuerung der bestehenden Schleusen in Kiel-Holtenau und Brunsbüttel sowie eine Vertiefung des gesamten Kanals von 9,5 auf 10,5 Meter notwendig. “Die Feederschiffe, die Container von den großen Nordseehäfen in den Ostseeraum weiterverteilen, werden immer größer breiter. Damit tauchen sie auch tiefer ins Wasser ein als früher”, erläuterte Jens B. Knudsen diese Forderung. Um die notwendige Modernisierung zügig und effizient durchführen zu können, benötige die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes zusätzliche Ingenieure und Planer. Außerdem sei die rasche Aufstellung eines Masterplans notwendig, der als roter Faden durch die anstehenden Arbeiten führen und Verlässlichkeit sowie Vertrauen auch für die Kanalkundschaft schaffen könne.

Anwachsen der Ladungsmenge auf bis zu 150 Mio. Tonnen vorstellbar

Dass Investitionen in den Nord-Ostsee-Kanal selbst Unternehmen anlocken, die weit von den deutschen Küsten entfernt ihren Firmensitz haben, verdeutlichte die Hauptrede des Unternehmers Johann Bögl, Gesellschafter der Firmengruppe Max Bögl aus dem oberpfälzischen Neumarkt. Am Beispiel der Max Bögl Wind AG, die sich Mitte Juli direkt am Kanal in Osterrönfeld angesiedelt hat, sprach er auf dem Parlamentarischen Abend über die Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals für Deutschland. Auch Jens Broder Knudsen ist davon überzeugt, dass sich eine Modernisierung des Nord-Ostsee-Kanals lohnt: “Ich glaube, dass ein modernisierter Kanal in den kommenden zwei Jahrzehnten durchaus die Marke von 150 Millionen Tonnen Ladung erreichen könnte”, gab er sich angesichts der im Mai neu vorgelegten Seeverkehrsprognose bis 2030 zuversichtlich. Derzeit liegt das Ladungsvolumen bei etwa 100 Millionen Tonnen jährlich. Von einem deutlichen Anstieg des Ladungsvolumens geht im Übrigen auch die IHK Schleswig-Holstein aus. Ihre Präsidentin, Friederike C. Kühn, prognostizierte kürzlich ein weiteres Anwachsen der Verkehrsmengen und damit auch des Gütertransports auf dem Wasser: “Der Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals als Wasserstraße mit dem weltweit höchsten Verkehrsaufkommen und wichtige Verbindung zu den Seehäfen Norddeutschlands in den Ostseeraum ist deshalb dringend erforderlich”, so Kühn, “die Ertüchtigung ist eine Voraussetzung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens und ein wesentlicher Standortfaktor auch für Schleswig-Holstein.”

Mit der Resonanz auf ihren Parlamentarischen Abend zum Nord-Ostsee-Kanal in Berlin sind die Gastgeber zufrieden. “Die Bundespolitik hat deutlich gemacht, dass sie die Bedeutung des Kanals erkennt und zu wirkungsvollen Weichenstellungen bereit ist”, resümierte Jens Broder Knudsen. Den aktuellen verkehrs- und finanzpolitischen Diskussionsstand zum Kanal hatte am Dienstagabend die Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn als Mitglied des Haushaltsausschusses sowie als stellvertretendes Mitglied des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages zusammengefasst.