Kleiner Seegang – Brina´s maritime Kolumne „Ei, Ei, Ei!“

Liebe Leser,

auf einem Kreuzfahrtschiff mit 2.000 Passagieren wird pro Woche die stolze Anzahl von 21.000 Eiern verbraucht. Stellen Sie sich doch mal den Berg der aus dem Supermarkt gewohnten 10er Schachteln vor. Damit wären wir beim aktuellen Thema der Kolumne in diesem Monat, die das Ei näher beleuchtet. Um es genau zu sagen: Das Frühstücksei, denn natürlich landet eine große Anzahl der Eier an Bord auch in Soßen zu Hauptgerichten, Kuchen oder Salaten. Was für ein Eiertyp sind Sie? Rührei, Spiegelei oder das weich gekochte Vier-, Fünf- oder Sechs-Minuten-Ei? Frühstücken Sie morgens gern am Buffet und häufen sich Rührei auf den Teller oder wählen Sie lieber das Restaurant mit Bedienung und lassen sich Eier Benedict frisch zubereiten? Letzteres ist übrigens mein persönliches Eier-Highlight und in der Form der Zubereitung die Königsklasse, wie ich finde. In vielen Mythen, die sich um den Ursprung des Lebens drehen, spielt das Ei an sich eine entscheidende Rolle. Auch in den frühen Kreuzfahrertagen gibt es eine entscheidende Anekdote dazu, nämlich das Ei des Kolumbus. Kennen Sie die Geschichte? Nach der Rückkehr von Kolumbus warf man ihm vor, dass jeder die Neue Welt hätte entdecken können. Er bestellte daraufhin ein gekochtes Ei und forderte die anwesenden Personen auf, es auf die Spitze zu stellen, was aber niemand gelang. Schließlich nahm er das Ei, schlug es mit der Spitze auf den Tisch, sodass es leicht eingedrückt war, aber es stand. Den Protest auf diese Vorgehensweise stoppte er mit Worten, die in die Geschichte eingingen: „Der Unterschied ist, meine Herren, dass Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan.“ Wir feiern in diesem Monat Ostern, mit Sicherheit das Fest, an dem am häufigsten Eier verschenkt, gegessen und in Haus und Garten sogar als Deko verwendet werden. In der christlichen Tradition gilt das Ei als Symbol der Auferstehung. Was so ein Ei auf Kreuzfahrt erleben kann und dass es durchaus eine Seele in meiner Fantasie hat, können Sie heute im Kleinen Seegang ‚Ei, Ei, Ei!‘ nachlesen.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Osterfest,

Ihre Brina Stein

Ei, Ei, Ei!

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

Illustration: Boris Noruschat von Kreuzfahrtunikate

Mein großer Moment war gekommen! Es war zehn Uhr morgens. Unser kleines Kreuzfahrtschiff dümpelte im Roten Meer vor sich hin, die Sonne schien und aus mir, einem einfachen Hühnerei der Güteklasse A, war ein Ei Benedict geworden. Unter mir fühlte ich eine saftige Scheibe Kochschinken, über mir erwärmte Sauce Hollandaise. Ich war pochiert worden und der Gast, der mich nun in Kürze genießen würde, schien mir älter zu sein. Ich konnte ihn teilweise durch die gelbe Soße hindurch sehen. Er strahlte, als er sein serviertes Frühstück erblickte und sagte: „Ei, ei, ei, sieht das lecker aus.“ Was will man mehr, wenn man als Ei auf die Welt gekommen war? Irgendwann wurde man gegessen und wenn das in Form der Königsklasse aller Eier geschah, dann konnte man doch wirklich zufrieden sein, oder? Sie finden das jetzt makaber? Ich nicht. Gerade in Kürze, wo wir das Osterfest feiern, welches doch der Auferstehung gewidmet ist. Das Leben gehört zu dem Tod und ich kann Ihnen versichern, dass meines großartig war, wenn es auch nur drei Wochen dauerte. Gelegt wurde ich auf einer Bio-Hühnerfarm auf Mallorca. Aber schon drei Tage später wurde ich mit vielen Kumpels zum Hafen von Palma de Mallorca gefahren und dort in den Bauch eines Kreuzfahrtschiffes verladen. Danach wurden wir fast liebevoll aus unseren Kartons ausgepackt und in einen extra Kühlschrank gelegt, den Eier-Kühlschrank. Täglich sah der nette Proviantmeister nach uns und nahm auch immer wieder mal ein paar Eier mit. Ich mochte den. Er hatte zwar genau so wenige Haare auf dem Kopf wie wir, aber er behandelte uns respektvoll und mit äußerster Vorsicht. Nie ließ er einen von uns fallen! Als es schließlich so weit war und er nach mir griff, war ich gespannt. Würde ich nun in einer Soße landen oder hatte ich zumindest die Chance, als ein nettes Spiegelei mit meinem gelben Dotter dem Gast ins Auge zu blicken? Es schien noch früh am Morgen zu sein, denn als ich mich in der Bordküche wiederfand und aus dem Fenster sah, war es noch dunkel. Müde schlurften die Köche durch die Küche. Ich lag in einer orangen Schale mit ein paar anderen Eiern zunächst völlig unbeachtet herum.

Vermutlich schliefen die Gäste noch, denn die Köche machten kaum Anstalten, Pfannen oder Töpfe auf die Herde zustellen. So belauschte ich ein Gespräch zwischen zwei Jungköchen, die vielleicht gerade mal zwanzig Jahre alt waren. Es ging interessanterweise um die Crew-Party, die in der letzten Nacht gefeiert worden war. Ich erfuhr, dass der Koch Kevin sich unsterblich in eine der Reiseleiterinnen verliebt hatte, die aber fünf Jahre älter war als er. Der andere Koch –e er hieß Leon und war offensichtlich sein Freund und Kabinenteiler – redete ihm die ganze Zeit gut zu, sie heute doch mal anzusprechen. Kevin schilderte detailliert, wie sie sich schließlich am Ende der Party, also vor zwei Stunden, auf dem Crew-Deck am Bug leidenschaftlich geküsst hätten. Danach waren sie mit Klamotten in den Pool gesprungen. Da die Reiseleiterin von Kopf bis Fuß in weiß gekleidet gewesen war, schimmerte ihre Haut durch die Kleidung. Plötzlich griff Kevin in meine Schüssel und nahm mich in die Hand. Kurz zuckte ich zusammen. Kevin sagte: „Sie war so rein und so weiß wie dieses Ei.“ Dann legte er mich zurück. Leon pfiff anerkennend durch die Zähne und fragte: „Ei, Ei, Ei und dann?“ „Na, ja, du weißt ja, die Weißen können von der Brücke aus genau auf das Crew-Deck schauen. Nach ein paar Küssen sind wir dann aus dem Pool gestiegen.“ Leon nickte verständnisvoll. Die Offiziere auf der Brücke nannten sie immer nur ‚die Weißen‘. „Lade sie doch heute an Land ein, zu einem Ausflug, wir legen später im Hafen von Aqaba an.“ Kevin schüttelte mit dem Kopf und sagte: „Nein, sie muss doch mit den Gästen fort, da setze ich lieber auf die nächsten drei Seetage. Ich habe noch nie eine Frau wie sie getroffen, sie ist es, das sage ich dir, die Frau meines Lebens.“ „Wie aufregend“, fand Leon. Kevin nickte. Ich war tief ergriffen. Welchem normalen Hühnerei waren so intime Geständnisse gegönnt? Ich wünschte mir von ganzem Herzen und bei meinem gelben Dotter, dass Kevins Plan aufgehen würde. Keine Hollywoodschnulze kann schöner sein als das richtige Leben. Plötzlich näherte sich ein Kellner. „Einmal Ei Benedict“, rief er den Köchen zu. Kevin und Leon tauschten einen letzten Blick. Die Ruhe schien vorbei, nun startete das Frühstücksgeschäft. Kevin griff in die orange Schüssel und nahm mich erneut hinaus. Langsam und sehr zärtlich pellte er meine Schale ab. Seine neue Freundin war zu beneiden und das würde auch klappen, da war ich mir ganz sicher. Wer ein Ei so zart pellte, der hatte noch ganz andere Talente. Währenddessen erhitzte Leon einen großen Topf mit heißem Wasser und gab einige Spritzer Essig dazu. Mein Pochieren stand kurz bevor.