ASTOR – ein Klassiker auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt

Die ASTOR ist seit ihrer Indienststellung 1987 ununterbrochen auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt zu Hause und gehört damit zu einem exklusiven Kreis von Kreuzfahrtschiffen, die sich das Attribut „klassisch“ verdient haben. Doch was macht einen Schiffsklassiker wie diesen eigentlich aus?

Eine glückliche „Kindheit“ jedenfalls nicht, denn die Anfangsjahre der ASTOR standen unter keinem guten Stern. Die südafrikanische Safmarine, die das Schiff als Ersatz für die Vorgängerin gleichen Namens 1985 bestellt hatte, musste nämlich feststellen, dass die internationale Vermarktung eines südafrikanischen Passagierschiffes zu Apartheid-Zeiten schwierig war, um es vorsichtig auszudrücken. Noch während des Baus verkaufte sie die ASTOR daher an die Marlan Corporation in Mauritius, die wiederum Charterverträge mit der englischen Firma Morgan Leisure (ML) bzw. dem deutschen Veranstalter Globus Kreuzfahrten (einem Joint Venture zwischen Safmarine und den Deutschen Afrika-Linien) abschloss. Doch weder auf dem britischen noch auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt war im Jahr 1987 Platz für ein Schiff wie die ASTOR, das im Premium-Segment angesiedelt und entsprechend hochpreisig war. (Im Berlitz Complete Handbook to Cruising war sie als ASTOR mit vier Sternen plus bewertet und bewegte sich damit auf Augenhöhe mit den Schiffen von Princess Cruises und Holland America Line.) Die Engländer fuhren lieber mit den bewährten Schiffen von P&O, Cunard oder Royal Viking Line, die Deutschen mit der EUROPA, der VISTAFJORD oder ihrem Fernseh-Traumschiff BERLIN. Nach nicht einmal zwei Jahren verkaufte Marlan die ASTOR daher ebenfalls, und zwar an die sowjetische Black Sea Shipping Company. Die war bis dahin mit eher rustikaler Tonnage auf dem westlichen Kreuzfahrtmarkt vertreten gewesen, was ihr zwar reichlich Devisen eingebracht, die Passagiere aber nicht unbedingt auf ein vergleichsweise luxuriöses Schiff wie die ASTOR vorbereitet hat. Aus diesem Grund war auch die Zeit des in FEDOR DOSTOEVSKIY umbenannten Schiffes unter der Flagge ihres ersten deutschen Charterers Transocean Tours kurz. Nur zwei Jahre (1989 – 1990) bildete sie zusammen mit der ungleich populäreren ODESSA eine Flotte, dann wechselte sie erneut den Besitzer. Veranstalter war nun Neckermann Seereisen, die die FEDOR DOSTOEVSKIY für fünf Jahre unter Vertrag nahmen. Doch auch an das Neckermann-Publikum konnte man die hohen Charterraten, welche die inzwischen ukrainischen Eigner verlangten, irgendwann nicht mehr weitergeben. Im Dezember 1995 trat mit Aquamarin Kreuzfahrten die inzwischen vierte Reisefirma auf den Plan, welche die ASTOR, die nun auch wieder diesen Namen trug, in Deutschland vermarktete. Lange währte jedoch auch dies nicht, so dass die ASTOR im April 1997 wieder dort war, wo Ende 1988 alles angefangen hatte – beim Bremer Veranstalter Transocean Tours.

Foto: Kai Ortel

Unter Transocean-Flagge

Und diesmal passte es. Mit ihrer Kapazität für 578 Passagiere zählte die ASTOR plötzlich nicht mehr zum Kreuzfahrt-Mainstream, sondern zu den Geheimtipps. 1997 war eine AIDA (die heutige AIDACARA) frisch in Fahrt, Costa stellte sein neues Flaggschiff COSTA VICTORIA (1.928/2.274 Passagiere) in Dienst, und in Amerika durchbrach eine CARNIVAL DESTINY (2.966/3.400 Passagiere) zum ersten Mal die 100.000 BRZ-Schallmauer. Mit Schiffen wie diesen konnte und wollte die kleine ASTOR nicht mithalten, und das bis dahin noch traditionell konservative deutsche Publikum honorierte dies. Auf der anderen Seite bedeutete die ASTOR für Transocean Tours immer noch einen großen Schritt nach vorn, denn die LEV TOLSTOY und ODESSA, deren Erbe die ehemalige FEDOR DOSTOEVSKIY nun antrat, spielten in Punkto Größe und Ausstattung in einer Liga weit unterhalb des Premium-Segments, in dem die ASTOR nominell noch immer angesiedelt war. Auch Kreuzfahrt-„Papst“ Douglas Ward, ansonsten stets auf der Seite amerikanischer und britischer Schiffe und Reedereien, war in seinem Berlitz-Guide voll des Lobes für die kleine ASTOR. Die Kabinen? „Superbly appointed“. Das Restaurant? „Extremely attractive“. Die Hardware insgesamt? „A really fine ship“. So glücklich war Transocean Tours mit der ASTOR, dass die Bremer 2002 auch deren kleine Schwester charterten, die bis 2008 als ASTORIA unter Transocean-Flagge blieb. 2005 waren 75% der Passagiere der ASTOR Stammgäste, endlich hatte das Schiff seinen guten Ruf gefestigt und war vom deutschen Markt nicht mehr wegzudenken.

Archivfoto: Transocean Tours

Doch am Horizont zogen dunkle Wolken auf. AIDA Cruises hatte mit einem revolutionär neuen Konzept in der Zwischenzeit seinen Siegeszug angetreten, und mit TUI Cruises ging 2008 ein weiterer ernstzunehmender Konkurrent an den Start. Just in jenem Jahr musste wegen eines Maschinenschadens die Weltreise der ASTORIA abgesagt werden; kaum ein Jahr später ging Transocean Tours in die Planinsolvenz. Zum Glück war der neue Eigner Premicon AG bereit, einen bereits lange terminierten Umbau der ASTOR wie geplant durchzuführen. 16 Mio. € investierte Premicon in das Schiff, das nach einer gründlichen Renovierung im Frühjahr 2010 seine zweite Jungfernreise antrat. „Höchst persönlich“ lautete das Motto der neu gegründeten Transocean Kreuzfahrten GmbH & Co. KG, und genau so sollte es an Bord der ASTOR zugehen, im bewussten Kontrast zu den riesigen schwimmenden Freizeitparks, die längst nicht nur amerikanische Reedereien in immer kürzeren Abständen auf den Markt brachten. Mittelfristig dachte man bei Transocean sogar wieder an ein zweites Schiff, doch 2010 war es noch lange nicht soweit. Zunächst zog sich die Premicon AG wieder aus dem Schifffahrtsgeschäft zurück. Zum Glück jedoch hatte bereits im Herbst/Winter 2013 die britische Firma Cruise and Maritime Voyages (CMV) die ASTOR gechartert, um sie auf dem australischen Markt einzusetzen. 2014 übernahm CMV Transocean dann komplett, mitsamt der Chartervereinbarung für die ASTOR, die jedoch zumindest zwischen April und Oktober weiterhin auf dem deutschen Markt verblieb. Eignerin des Schiffes ist seit Ende 2014 die griechische Global Cruise Line, die auch die Mehrheit der Anteile an CMV hält. (Falls Sie sich wundern, warum es im Bordshop der ASTOR ausgerechnet griechisches Olivenöl zu kaufen gibt – die Spezialität stammt aus dem privaten Olivenhain des griechischen Schiffseigners! Auch auf dem Beleg für die Kreditkarten-Autorisierung an Bord steht nicht etwa Transocean Kreuzfahrten oder Cruise and Maritime Voyages, sondern Global Cruise Line.) Aus der Südafrikanerin von einst ist also eine Griechin geworden, mit einem britischen Herz und einer noch immer deutschen Seele. Mehr als 30 Jahre ist die ASTOR nun für deutsches Publikum unterwegs und hat die diversen Moden und Trends der Kreuzfahrtbranche wie flexible Essenszeiten oder Interporting lässig an sich vorbeiziehen lassen. Da darf man spätestens jetzt von einem Klassiker sprechen.

Foto: Kai Ortel

Eine Klasse für sich

Interessanterweise warb Transocean nach dem Umbau 2010 mit dem Slogan „Die neue ASTOR ist da“. Dabei hatte man auf den eigentlich geplanten Einbau von Balkonkabinen aus baulichen Gründen kurzfristig verzichten müssen, und auch die feste Sitzordnung im Waldorf-Restaurant (zwei Sitzungen) wollte man nicht antasten. Nur die beiden Salons „Admiral“ und „Commodore“ hat man vor einigen Jahren zu kleinen, aber feinen Spezialitätenrestaurants umgewandelt, in denen man unabhängig von den beiden Sitzungen im Hauptrestaurant italienisch bzw. asiatisch speisen kann. Und dies sogar ohne Aufpreis. „Wir sind dem unverwechselbaren klassischen Stil der ASTOR treu geblieben“, hieß es daher auch, denn die letzte größere Modernisierung 2010 betraf nicht etwa die Lounges oder das Layout des Schiffes, sondern vor allem die Innenausstattung der Kabinen, die Teppiche an Bord und die Anschaffung von Geschirr, Mobiliar und anderen Einzelgegenständen. Bewusst setzt man seitdem stattdessen auf die Software, welche die ASTOR weiterhin einzigartig macht: die familiäre Bord-Atmosphäre („fernab vom Massentourismus“), die große Auswahl an öffentlichen Räumen an Bord und die Landausflüge bzw. Exkursionen in kleinen Gruppen. Denn nichts ist dem Transocean-Publikum ein größerer Graus als die anonymen Mega-Kreuzfahrtschiffe moderner Bauart, auf denen womöglich noch nicht einmal deutsch gesprochen wird.

Foto: Kai Ortel

Als wir im April für die „Welcome Europe“-Minikreuzfahrt nach Bremerhaven in Tilbury an Bord gehen, möchte Kreuzfahrtdirektor André Sultan-Sade im Rahmen der Willkommensveranstaltung auch wissen, wer von den Anwesenden schon einmal mit der ASTOR gefahren und warum er wiedergekommen ist. „Das ist hier gemütlicher“, antwortet ein Herr in der ersten Reihe und vergleicht „sein“ Schiff damit mit der Flotte jener Schiffe, deren Passagierkapazität mittlerweile im oberen vierstelligen Bereich angekommen ist. Nicht ohne Stolz erzählt der Kreuzfahrtdirektor weiter: „Wir sind ein Destinationsschiff“, wovon u. a. die vielen Hafenplaketten zeugen, die überall an Bord verteilt sind. Und von dieser Sorte Schiffe gibt es tatsächlich immer weniger. 578 Passagiere fasst die ASTOR – eine Größenordnung, die es im weltweiten Orderbook der internationalen Kreuzfahrtreedereien fast überhaupt nicht mehr gibt. Gebaut wird seit einigen Jahren entweder klein und ultra-luxuriös oder riesengroß, um die Baukosten pro Passagier niedrig zu halten. Mit ihren überschaubaren Dimensionen ist die ASTOR daher wahrlich „eine Klasse für sich“, wie Transocean Kreuzfahrten es nennt. Dass das „4-Sterne-Schiff auf allen Ozeanen dieser Welt“ bei Douglas Ward inzwischen nur noch auf drei Sterne kommt (genauso wie die ALBATROS von Phoenix Reisen und die HAMBURG von Plantours), wen kümmert’s. Was sind schon Sterne.

Foto: Kai Ortel

Hippe Mittdreißiger und Familien mit erlebnishungrigen Kindern darf man dafür auf der ASTOR nicht erwarten, auch keine ausschweifenden Partys oder Action rund um die Uhr. Das ASTOR-Publikum ist reiferen Alters, an diesem Vormittag überwiegend paarweise nach London bzw. Tilbury angereist und in vielen Fällen wie gesagt auch nicht zum ersten Mal auf dem Schiff. Das spiegelt sich auch im Dresscode wider: „An Bord geht es ungezwungen, aber gepflegt zu“, schreibt Transocean. Das zumeist gutbürgerliche Publikum der ASTOR möchte sich weder mehrmals am Tag aufwändig aufbrezeln, noch schlurft es in Jogginghosen oder ähnlichem über die Decks. „Tagsüber ist bequeme und sportliche Kleidung angemessen, abends überwiegt der legere Chic“, beschreibt die Reederei die Kleiderempfehlung.

Und Transocean Kreuzfahrten weiß genau, womit man dieses Publikum zufriedenstellen kann. Als die ASTOR am frühen Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein in Tilbury abgelegt hat, gibt es auf dem Pooldeck erstmal ein Glas Willkommenssekt aufs Haus. Und nachdem ein Großteil der Hotel- und Service-Besatzung in Tilbury ebenfalls gewechselt hat, wird nun für die nächsten sechs Monate auch wieder Deutsch gesprochen an Bord. Oder vielmehr jene liebenswerte Variante davon, die mit einem starken russischen bzw. osteuropäischen Akzent daherkommt, wie er seit den Zeiten einer ESTONIA und einer ODESSA zum Markenzeichen der Transocean-Schiffe gehört. Da darf die Stadt Bremerhaven im Tagesprogramm auch schon mal mit „f“ geschrieben werden. Das Trinkgeld für die Service-Besatzung an Bord ist übrigens nicht (mehr) inklusive. Hier erachtet Transocean Kreuzfahrten 8 bis 10 € pro Gast und Tag als angemessen.

Auch andere deutsche Gewohnheiten halten mit dem Beginn der Nordeuropa-Saison wieder Einzug auf der ASTOR. Um 17:45 Uhr hat der Kapitän gerade den letzten Themse-Lotsen mit dem traditionellen „Dreimal lang“ verabschiedet, da stehen auf den Tischen am Pool nicht, wie auf anderen Schiffen üblich, bunte Cocktail-Gläschen, sondern robuste Bierkrüge. Auch die Bord-Durchsagen erfolgen zwischen April und Oktober nur noch auf Deutsch, und wenn abends um 19:00 Uhr die Restaurants ihre Pforten öffnen, kann man mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen, dass in den Gängen davor aufgrund der wartenden Menschentrauben schon ab 18:30 Uhr kein Durchkommen mehr sein wird.

„Raum“schiff ASTOR

Von vorübergehenden Ballungen wie diesen abgesehen, ist die ASTOR jedoch ein wahres „Raum“schiff. Denn enge Korridore, winzige Außendecks oder Räume, aus denen es kein Entkommen gibt, wenn man erst einmal drin ist, waren beim Bau des Schiffes ein Fremdwort. Auch die Orientierung an Bord ist einfach. Auf dem Promenadendeck, dessen Mittelpunkt der gediegen maritim eingerichtete Captain’s Club ist, verläuft sowohl an der Backbord- als auch an der Steuerbordseite eine breite Galerie, die von gemütlichen Polstersesseln an den großen Panoramafenstern gesäumt wird. Hier befinden sich auch große Porträts der russischen Dichter Alexander Puschkin und Leo Tolstoi – Relikte aus jener Zeit, als die ASTOR unter ihrem alten Namen FEDOR DOSTOEVSKIY noch in sowjetischem Besitz war.

Foto: Kai Ortel

Auch die Boutique befindet sich mittschiffs auf demselben Deck, während vorne (ebenfalls beide mit Meerblick) die Bibliothek und das Kartenzimmer gelegen sind. Im Captain’s Club ist übrigens sogar das Rauchen gestattet; andernorts wird man hierzu heute meistens auf die Außendecks „verbannt“. Achtern dagegen befinden sich die beiden Restaurants der ASTOR sowie die beiden kleinen Salons, die mittlerweile ebenfalls regelmäßig zu diesem Zweck genutzt werden. Das schönere von beiden ist das in Braun- und Beige-Tönen gehaltene Waldorf-Restaurant auf dem Promenadendeck, aber auch der Übersee-Club darüber hat sich mit dem letzten Umbau und seinen Skulpturen und hohen Fenstern zu einer attraktiven Alternative dazu gemausert.

Foto: Kai Ortel

So richtig altmodisch, pardon: klassisch, geht es jedoch an der frischen Luft zu. Weitläufige Deckflächen, wie es sie auf der ASTOR gibt, sucht man nämlich auf den riesigen Kreuzfahrtschiffen moderner Bauart vergeblich. Auf dem 1987 gebauten Kreuzfahrer gibt es allein drei Decks an den Seiten des Schiffes, wo neben dem Bootsdeck (Deck 7) und dem Sonnendeck (Deck 9) auch auf dem Brückendeck (Deck 8) noch ein Gang nach achtern führt. Auch kann man auf dem Brückendeck der Besatzung bei der Arbeit über die Schulter schauen, denn die Brückennock ist eine offene. Und auch achtern hat die ASTOR so gar nichts gemeinsam mit Kreuzfahrtschiffen wie der NORWEGIAN BLISS, die wir heute Nacht auf ihrer Ablieferungsfahrt von Papenburg via Bremerhaven nach Southampton passieren. Am Pool riecht es z. B. nach altem Teak-Holz – ein Odeur, wie es nur Passagierschiffe älterer Bauart versprühen. Wie ein kleines Amphitheater sind hier das Sonnendeck und die Sonnenterrasse auf dem Brückendeck hufeinförmig angeordnet, so dass man von dort aus nicht nur den Pool auf dem darunterliegenden Bootsdeck, sondern auch das Heckfahrwasser und das Meer überblicken kann. Da sind selbst bei schlechtem Wetter gemütliche Stunden im Liege- oder Deckstuhl vorprogrammiert – Decke über den Schoß geworfen, das Buch aus der Tasche geholt, und schon kann der Urlaub auf See beginnen.

Foto: Kai Ortel

Doch auch tief unten im Bauch des Schiffes gibt es noch öffentliche Räume, die man dort eigentlich nicht vermutet. So befindet sich auf dem Caribic Deck, noch unter den Kabinen, der Wellness-Bereich der ASTOR, der einen Innen-Swimmingpool, eine Sauna, Massageräume sowie einen Friseur- und Beauty-Salon beinhaltet. Sie alle erfreuen sich beim deutschen Publikum großer Beliebtheit, wie wir an Bord hören, ein Besuch in den „Katakomben“ des Schiffes lohnt sich also!

Foto: Kai Ortel

Ein Prosit der Gemütlichkeit

Als die ASTOR am nächsten Morgen querab der Nordfriesischen Inseln Bremerhaven entgegensteuert, genießen die Passagiere das Frühstück an Bord. Denn auf einem deutschen Schiff wie diesem gibt es nicht etwa pappiges Toastbrot, lauwarmen Kaffee aus dem Automaten oder Dosenobst, sondern frisch gebackene Vollkornbrötchen, heißen Kaffee und Tee aus der Kanne sowie frisch zubereiteten Obstsalat. Im Gegensatz zu amerikanischen und englischen Passagieren lieben die Deutschen nämlich ihr Frühstück, und am opulenten Büffet im Waldorf-Restaurant werden sie nicht enttäuscht. Kaffee und Tee werden aufmerksam nach fast jedem Schluck nachgeschenkt, und auch der Sekt geht zu früher Stunde wieder aufs Haus.

Doch das ist noch nicht alles. Denn für 11:00 Uhr steht im Bordprogramm: „Ihr Kapitän gibt einen aus!“ Und richtig. Wer das Frühstück auf dem Pooldeck zünftig fortsetzen will, ist am Vormittag zum Frühschoppen eingeladen. „Gute Stimmung mit dem besten Bier der Welt – dem Freibier“ verspricht das Tagesprogramm, und diese Einladung schlägt natürlich fast niemand an Bord aus. Dass das Lucky Duo dazu „Joana“ von Roland Kaiser und andere deutsche 80er Jahre-Schlager mit starkem osteuropäischen Einschlag intoniert, sollten Sie allerdings mögen, ansonsten ist die ASTOR nicht Ihr Schiff. Selbiges gilt auch für „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, das Kreuzfahrtdirektor André am Pool stilecht in Lederhosen zum Besten gibt. Es folgt, dann nicht mehr ganz so stilecht, „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, doch dem ASTOR-Publikum gefällt auch dies. Die Stimmung ist jedenfalls prächtig an Bord, zumal uns der Wettergott auch heute Vormittag wieder äußerst wohl gesonnen ist.

Foto: Kai Ortel

Davon weitgehend unbemerkt, wird die ASTOR unter Deck weiter von einem australischen in ein deutsches Schiff verwandelt. Auch der Hotel Manager bereitet sein Büro für die Übergabe vor. Joao Luis de Sousa, seit einem halben Jahr an Bord, hat heute seinen letzten Tag, sein deutscher Kollege Maximilian Klassen übernimmt. Beide empfangen mich für eine kleine maritime Plauderstunde und sind voll des Lobes für Schiff und Besatzung. Wie die MARCO POLO, mit der die ASTOR nicht nur die Zugehörigkeit zu Cruise and Maritime Voyages gemeinsam hat, sondern auch die Vergangenheit bei Transocean Tours, könne die ehemalige FEDOR DOSTOEVSKIY auf eine hohe Zahl loyaler Stammgäste aus Deutschland zählen, die immer wieder an Bord zurückkehren. Schließlich ist die in Kiel gebaute ASTOR wie sie „made in Germany“. Passagiere und Crew bilden auf so mancher Kreuzfahrt eine große Familie, was sich schon mal darin äußern kann, dass der eine oder andere Gast darauf beharrt, dies sei „seine Kabine“, „sein Tisch“ oder sogar „sein Kellner“. Kontinuität wird daher groß geschrieben im Hause Cruise and Maritime. Bei der Crew versucht man die Fluktuation so gering wie möglich zu halten, damit die Repeater „ihre“ ASTOR bei jeder neuen Reise sofort wiedererkennen. Das macht es dem Schiff andererseits natürlich nicht eben leicht, neue Fans hinzu zu gewinnen. Die ASTOR-Passagiere sind vielmehr mit ihrem Schiff gealtert, das Durchschnittsalter liegt unter Transocean-Regie inzwischen irgendwo zwischen 60 und 70.

Die VASCO DA GAMA kommt

Das muss sich spätestens dann ändern, wenn nächstes Jahr die merklich größere VASCO DA GAMA zur Cruise and Maritime-Flotte hinzustößt, die auch die ASTOR auf dem deutschen Markt ergänzen soll. Was 2010 noch „mittelfristig“ war, wird nämlich 2019 in Form der ehemaligen STATENDAM Realität, die aktuell noch als PACIFIC EDEN für P&O Australia im Einsatz ist. Die Ironie der Geschichte ist dabei gleich eine doppelte. So bekommt die ASTOR, die seit fünf Jahren selber regelmäßig für sechs Monate im Jahr auf dem australischen Markt kreuzt, zum einen ausgerechnet durch ein australisches Schiff Verstärkung. Zum anderen stammt dieses ursprünglich aus dem Hause Holland America Line, jener Reederei also, mit der die ASTOR in ihren beiden Anfangsjahren unter der Flagge von Morgan Leisure preislich und konzeptionell nicht hatte mithalten können. Die 1993 gebaute PACIFIC EDEN verfügt über eine Kapazität für 1.260 (1.625) Passagiere und ist damit mehr als doppelt so groß wie die ASTOR, auch wenn Transocean Kreuzfahrten verspricht, die Kapazität der künftigen VASCO DA GAMA nach ihrem Umbau Anfang 2019 auf „nur“ 1.150 Gäste zu begrenzen.

Foto: P&O Australia

Gegen 14:00 Uhr kommen uns das erste Containerschiff und der erste Weserlotse aus Bremerhaven entgegen. Nun ist es nicht mehr weit. Auch der Leuchtturm Roter Sand ist wenig später ein untrügliches Zeichen dafür, dass unsere Reise dem Ende entgegen geht. Bis dahin genießen die Passagiere den Kurztrip (290 Seemeilen) bei Sonnenschein noch mit Lektüre und Smalltalk an Deck. Andernfalls hätte man vielleicht noch einen Bummel durch die Kabinenkorridore gemacht; die dort an den Wänden angebrachten Bilder mit historischen Silhouetten europäischer Städte sind nämlich jedes für sich eine eingehende Betrachtung wert. Genauso wie die Seekarte an der Rezeption, auf der die Stationen jeder Reise eingetragen werden und die am Ende jeder Kreuzfahrt traditionell zugunsten der Besatzung versteigert wird. Doch auch Schlemmen ist am frühen Nachmittag noch einmal angesagt, denn zur Mittagszeit öffnen die Restaurants noch einmal ihre Pforten. Um kurz nach 16:00 Uhr schließlich legt die ASTOR an der Columbuskaje an, ihrer Heimat für die nächsten sechs Monate.

Nächstes Jahr wird hier auch die VASCO DA GAMA liegen, und man darf gespannt sein, ob und wie diese beiden Schiffe dann nebeneinander auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt bestehen. Für die ASTOR wäre es sicherlich schade, wenn der Neuerwerb aus dem Hause P&O ihr Ende unter Transocean-Flagge einläuten würde. Sie mag weniger groß sein und weniger jugendlich als andere Schiffe, macht das aber nicht zuletzt mit einer familiären Atmosphäre, einer herzlichen Crew und einem unschlagbaren Raumangebot wett. Sie steht für eine Art der Kreuzfahrt, wie es sie 1987 gegeben hat, wie sie aber seitdem mit dem Siegeszug der großen Mega-Liner immer mehr aus der Mode gekommen ist. Ein Klassiker eben, im besten Sinne des Wortes.

 

(Gastautor: Kai Ortel)